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Der Landtag, der Ladenschluss und die Groteskköstlichkeit

Foto: Robert Agthe - CC-BY
Foto: Robert Agthe - CC-BY

Am Donnerstag wurde im Landtag über einen Vorschlag der Freien Wähler zum Ladenschlussgesetz für Bayern diskutiert. Diese Debatte war extrem erhellend.

Alexander Muthmann von den Freien Wählern erklärte, warum es dieses Gesetz unbedingt braucht: Bürokratieabbau, Rechtsklarheit und Rechtsanpassung an die gelebte Wirklichkeit. Das sind starke Worte.

Der Bürokratieabbau ist dann in ungefähr 23 000 Zeichen beschrieben. Zum Vergleich: Hessen hat ca. 15 000 gebraucht, Berlin gar weniger als 11 000. In dem Vorschlag wird alles rund ums Verkaufen geregelt – ganz unbürokratisch. Also eigentlich bleibt fast alles beim Alten. Und es findet sich sogar eine Regelung, ab wann und wie lange man Nordmanntannen verkaufen darf, für den Fall, dass der 24. Dezember auf einen Sonntag fällt.

Darüber hinaus wird – ganz nah an der gelebten Wirklichkeit – der Verkauf jeglichen Alkohols zwischen 22 und 6 Uhr untersagt. Prohibition in der Nacht also. Doch Tankstellen dürfen zwei Stunden länger Alkohol verkaufen als „Restbayern“. Dies ergibt anscheinend in der Lebensrealität eines Freien Wählers Sinn. Ebenso lebensnah diskutierte Muthmann dann im Landtag darüber, dass man am Sonntag doch auch im Ellertal Allgäuer Lederhosen kaufen können sollte. Ansonsten sei aber eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten mit den Freien Wählern nicht zu machen. Man möge mir verzeihen, dass mir meine Lebensrealität besser gefällt und ich mit Herrn Muthmann lieber nicht tauschen möchte.

Gut, es sitzen ja noch mehr Parteien im Landtag, und ich hätte erwartet, dass dem Vertreter der Freien Wähler mal ordentlich die Leviten gelesen werden. Doch es wurde noch grotesker.

Zuerst redete Frau Gudrun Brendel-Fischer (CSU) die aktuelle Situation schön. Das von Frau Hadertauer produzierte Fiasko um die Verkaufsregelungen für Tankstellen sei doch super gewesen. Sie verwechselte anschließend noch schnell Grundrechte mit grundgesetzlich geregelt – Schwamm drüber. Es geht ja um die Verkäuferinnen, und die säßen schon hinter der Kasse, wenn alle anderen noch im Bett lägen. Ich glaube, ich stelle der Frau mal die Schichtarbeiter in der Industrie vor. Ich bin mir sicher, denen könnten wir mit einem Arbeitsstättenschlussgesetz helfen.

Als nächstes legte Frau Annette Karl (SPD) nach. Das Alkoholverkaufsverbot müsse unbedingt kommen – der Prävention wegen! Prävention und Prohibition kann man schon mal verwechseln, fängt doch beides mit P an. Den Vogel schoss allerdings Martin Runge (GRÜNE) ab: Die Details des Gesetzes seien doch nebensächlich, befand er. Viel interessanter sei, dass die Ministerin Haderthauer sich an gültige Gesetze gehalten habe und seltsamerweise vom Ministerpräsidenten zurückgepfiffen worden sei. Runge nannte den Alkohol, der an Tankstellen verkauft wird, „Sprit“ und zeigte damit wieder einmal: Konservative haben in Bayern eine ganz besondere Beziehung zum Alkohol und zur Regierungsbank.

Doch dann kam der 71-jährige Freiherr von Gumppenberg (FDP) und ballerte den Anwesenden Fakten um die Ohren. Endlich ist sie da, die ernsthafte Diskussion um ein bayerisches Ladenschlussgesetz, nachdem das jahrelang verpennt wurde. Und von Gumppenberg stellt fest: Es gibt da etwas revolutionär Neues, was das Einkaufen bereits 24/7 erlaubt und am Rest des Landtages vorbeigegangen zu sein scheint: Das Internet.

Ja, es brauchte einen Senioren, um dem versammelten Landtag die Realität zu erklären und Offenkundiges festzuhalten:

Es geht um eine ganz wesentliche Frage: Geht Bayern, das modernste Bundesland in dieser Republik, einen Weg, der dieser Modernität entspricht? Gehen wir einen Weg, der Menschen die Freiheit gibt, dann zu handeln, einzukaufen und zu konsumieren, wann sie es für richtig erachten – und nicht wann der Gesetzgeber es ihnen vorschreibt?

Dem kann ich kaum etwas hinzufügen. Obwohl, eine Kleinigkeit hab‘ ich da doch noch.

Die Tatsache, dass ein 71-Jähriger derzeit den Job der Piraten im Parlament übernimmt, ist für mich an Groteskköstlichkeit kaum zu überbieten und zeigt, wie dringend ein paar echte Piraten im Parlament dieses Freistaates nötig sind. Gut, Bayern wird noch regiert, aber ob im Frühjahr oder im Herbst Wahlen sind, ist Nebensache. Eins ist nämlich klar:

Es braucht echte Piraten im Maximilianeum. Dringendst.

Symbolbild: Robert AgtheCC-BY

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Benjamin Stöcker geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

9 Kommentare zu “Der Landtag, der Ladenschluss und die Groteskköstlichkeit

  1. mike_gh

    Ja, Piraten braucht’s im Landtag auf jeden Fall. Dafür setze ich mich ein 🙂

    Nein, nicht für so einen neoliberalen Unsinn wir die Ausweitung der Landenöffnungszeiten. Am Besten noch 24/7.

    Dagegen sprechen:
    – Geld ist nur einmal da, relevante Umsatzsteigerung sind nicht zu erwarten
    – es entstehen sicher höhere Kosten (z.B. Energiekosten)
    – Die drohende Verschlechterung der Profitabilität wird durch Senkung der Personalkosten reduziert
    – zB durch noch mehr Minijob, noch weniger Sozialleistungen – die zur Altersarmut führen und von der Allgemeinheit aufgefangen werden müssen.
    – noch mehr gesundheitsschädliche Schicht/Nachtarbeit.
    – Unsozial durch weniger gemeinsame freie Zeit. Da noch mehr Menschen versetzt arbeiten werden zu lasten gemeinsame Aktivitäten wie VHS, Vereine, Familienausflüge: plakativ: Anstatt die Kinder mit ‚Geschichte vorlesen‘ ins Bett zu bringen beim ALDI an der Kasse sitzen.
    – Frauenfeindlich, denn (merkwürdigerweise) leisten Frauen diese schlecht bezahlten Minijobs (Schleckerfrauen). Das auch noch zu gesundheitsschädlichen Zeiten?

    Ja, gegen jedes einzelne dieser Argumente lässt sich was vorbringen, in Summe übersteigen sie aber ganz klar die paar Vorteile 7/24 shoppen gehen zu können.

    • Benjamin Stöcker

      Ich habe eine ganz einfache Frage: Warum ist eine Schichtarbeit in der Industrie für alle ok und kein Thema, aber im Einzelhandel ist sie einfach immer wieder zu verhindern?

      Darüber hinaus zeigt die Erfahrung aus Hessen und Berlin doch: Die großen Geschäfte machen nicht 24/6 auf, lohnt sich für sie nämlich gar nicht.

      • Hi,
        ich arbeite im Einzelhandel.. ich kann jeden mal einladen sich rein zustellen. mal schaun was er dazu sagt . Ausserdem ist es doch Schwachsinn das Internet als Grund für ne 24/7 Ladenöffnung heranzuziehen. Wenn du um Mitternacht im Internet bestellst .. da steht kein Mitarbeiter drin und verschickt es direkt! Ausserdem möchte ich das Geschrei hören wenn es heist aufgrund der höheren Personalkosten und Energeikosten werden die Preise um 10 Prozent erhöht statt dies auf dem Rücken des Personals auszutragen! Und wenn hier die Industrie angeführt wird dann schaut doch mal an a) welche Struktur man in der Industrie hat ( wieviele 400 EUR Jobber? wieviel Teilzeitkräfte?) und welche Löhne dort überwiegend gezahlt werden im vergleich zum Handel ( Oder würde jemand bei BMW am band Schrauben ( wenn man mal Zeitarbeit aussen vor lässt) für 5-10 EUR die Stunde? . Bestes Beispiel: Einige Geschäfte hatten an Silvester bis 18 uhr auf. Ab 16 Uhr standen sich die Mitarbeiter die Füße in den Bauch. Den Handel mit der Produktion / Industrie zu vergleichen ist so wie wenn jemand sagt nun verkaufen wir ab sofort Ferrari zum Polo-Preis . Da käme auch keiner drauf. So sind die Piraten für mich nicht mehr Wählbar. Da wunderts einen nicht, dass die Umfragen auf teilweise 3 Prozent purzeln!

        • Benjamin Stoecker

          Das mit dem direkten Verschicken glaubst du. Das Versandzentrum von Amazon läuft 24/6.

  2. mike_gh

    Schicht/Nachtarbeit macht jeden krank. Das ist doch nichts Neues.
    http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/tuecken-der-nachtarbeit-irgendwann-macht-der-koerper-schlapp-a-756417.html

    Ausweitung macht sie natürlich nicht besser und die betroffenen AN wollen sie, gemäß Studie, nicht.

  3. entropy

    LOL!
    Eine Liberalisierung des Ladenschlusses ist nicht das gleiche wie eine Ladenöffnungspflicht!
    An den meisten Ladenöffnungszeiten wird sich nichts ändern. An gewissen Orten wird es aber wirtschaftlich sinnvoll sein und neue Jobs entstehen, z.B. durch Spätis, die auch von Männern betrieben werden dürfen….

  4. So geht also die Piratenpartei, die einst offenheit forderte und vor Zensur warnte mit kritischen kommentaren zu Ihren artikeln um…. sie löscht sie einfach. Da kann man nur sagen : Setzen 6! Durchgefallen. Solch ein Zensur betreiben noch nicht mal die großen, dass unliebsame , weil kritische kommentare einfach gelöscht werden. So ist die Piratenpartei fern jeder demokratischen Legitimation udn somit unwählbar! Schade!

    • Benjamin Stoecker

      Lieber Mike.

      Dein Kommentar wartete auf Freischaltung. Das lag daran, das du als kommentator nicht bekannt warst und dient auch als Spamschutz. Wir sind eine Ehrenamtliche Partei, da kann das freischalten von Kommentaren schon mal einen Tag (länger) dauern. Wir veröffentlichen alle nicht beleidigende kommentare. Und selbst wenn wir einen Kommentar mal nicht veröffentlichen wollen: Das ist KEINE Zensur. Zensur geht von Staaten aus und verbietet dir deine Meinung überhaupt Kund zu tun. Die Piratenpartei ist eine Partei, kein Staat.

  5. Sokra Tess

    Finde ich leider auch sehr schwierig.
    Ich habe jetzt zweimal Piraten gewählt und finde vieles gut.
    Politik von normalen Menschen. Aber teilweise kommt es mir mittlerweile so vor als ob etwas weitblick fehlt und sich die Partei in Kleinigkeiten verzettelt.

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