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Die Revolution der Familien

Eine ganz normale Familie.
Eine ganz normale Familie.

Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ehegattensplitting und Erweiterung der Adoptionsrechte von Homosexuellen hat eine Diskussion in der Union über die sogenannte »Homo-Ehe« wieder Fahrt aufgenommen. Dabei ist der Kampf um die gleichgeschlechtliche Ehe nur ein Symptom einer viel tiefer liegenden Kluft, die sich schleichend in unsere Gesellschaft eingegraben hat. Ein Symptom für eine Veränderung der Gesellschaft in den letzten zwanzig Jahren, welche die althergebrachte Sichtweise auf die Keimzelle der Gesellschaft erschüttert.

Dieser Erschütterung des Familienbildes ist noch keine große gesellschaftliche Debatte gefolgt, die das Problem wirklich deutlich erkannt und benannt hätte und aus der moderne Lösungen entstanden wären, die in Gesetzesform gegossen werden könnten. Die Frage, was die Gesellschaft im 21. Jahrhundert unter einer Familie genau versteht, hängt daher wie ein Damoklesschwert über der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.

Diese Frage ist dabei eben nicht nur rein philosophischer Natur. Die Eltern unseres Grundgesetzes haben den Schutz von Ehe und Familie als grundlegende staatliche Aufgabe definiert und verankert:

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

Und damals war klar: Ehe bezeichnet den ewigen Bund eines Mannes mit einer Frau. Und auch der Familienbegriff war sehr genau definiert: Ehe mit Kindern. Das lässt sich so auch in sehr vielen, vor allem sehr alten, aber auch durchaus neueren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nachlesen.

Ist die heteronormative monogame Ehe als Keimzelle der Gesellschaft damit in Deutschland als ewiges Leitbild festgeschrieben, wie es einige konservative Sturköpfe uns immer wieder vorpredigen?

Nein, das ist sie nicht. So hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil festgehalten, dass zum damaligen Zeitpunkt die gleichgeschlechtliche Ewigkeitsverbindung keinen grundgesetzlichen Schutz genossen habe, ließ aber eine sehr deutliche Tür offen: Wenn sich das Bild der Gesellschaft über die Ehe ändert, so ändert sich auch der grundgesetzliche Schutzbereich. Er ist also nicht auf Ewigkeit definiert, sondern unterliegt einem grundlegenden Gedanken: Die kleinsten Keimzellen, auf denen die Gesellschaft fußt, bedürfen des staatlichen Schutzes.

Und das Bild von Ehe und Familie ändert sich seit ein paar Jahrzehnten massiv und ist weiterhin einem Wandel unterworfen. Mittlerweile sind ca. 75% der Deutschen der Meinung, dass auch eine gleichgeschlechtliche Ehe das ist, was sie ist: Eine Ehe.

Die Ehe wird schon lange nicht mehr für die Ewigkeit geschlossen, sondern ist für die meisten nur noch ein Versprechen auf Zeit. Scheidung ist kein Stigma mehr, mit dem Mensch im weltlichen Wertekosmos als gescheitert gebrandmarkt würde, sondern längst gesellschaftliche Normalität. Wenn es dann nicht mehr klappt, wird sich halt getrennt und neu verbunden. Patchworkfamilien nennt man diese Konstrukte, die in urbanen Gegenden mittlerweile eher Norm als Ausnahme sind.

Und selbst eine in der Vergangenheit als unantastbar definierte gesellschaftliche Norm, die Monogamie, gilt nicht mehr als unumstößlich. Die bewusste Verweigerung der bürgerlichen heteronormativen Gesellschaftsentwürfe vergangener Generationen werden zumindest im großstädtischen Raum längst als Lebensentwurf akzeptiert.

»Safe, Sane, Consensual« ist der neue Grundwert: Solange alle Beteiligten an einem Beziehungskonstrukt mündig, aufgeklärt und einverstanden sind, ist alles erlaubt.

Eine Familie ist für viele Menschen längst eine Gruppe von Personen, die füreinander einstehen und füreinander oder für Versorgungsbedürftige Verantwortung übernehmen wollen. Familie ist nach diesem Wertebild genau dann vorhanden, wenn Menschen dauerhaft füreinander Sorge tragen. Wer das genau ist, welches Geschlecht sie haben, ist dabei irrelevant. So wird das Familienbild des 21. Jahrhunderts aussehen.

Und es wird Zeit, diesen Wertewandel endlich mit einer breiten gesellschaftlichen Debatte zu begleiten und im zweiten Schritt durch Gesetzesanpassung die Diskriminierung alternativer Lebensmodelle zu beenden. Die Gleichstellung der »Homo-Ehe« ist dabei nur ein – notwendiger – erster Schritt.

Dieser Beitrag wurde von Benjamin Stöcker für den Kaperbrief Bayern verfasst. Symbolbild von JJ unter der CC-BY-NC

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