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Freies Wissen – Bildungspolitik à la Humboldt

Allein freilich ist Freiheit die nothwendige Bedingung, ohne welche selbst das seelenvollste Geschäft keine heilsamen Wirkungen […] hervorzubringen vermag. Was nicht von dem Menschen selbst gewählt, worin er auch nur eingeschränkt und geleitet wird, das geht nicht in sein Wesen über, das bleibt ihm ewig fremd, das verrichtet er nicht eigentlich mit menschlicher Kraft, sondern mit mechanischer Fertigkeit.

Wilhelm von Humboldt: »Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staat zu bestimmen« (1792) [Werke I, 77]

Obwohl das Eingangszitat von Wilhelm von Humboldt nicht aus seinen Schriften zur Bildung stammt, sondern aus seiner Schrift über den liberalen Staat, umreißt es Humboldts Bildungspolitik sehr genau: Bildung gelingt nur selbstbestimmt, also in Freiheit. Somit dürften die Prinzipien, die »freies Wissen« (libre knowledge) definieren, Humboldt nicht fremd gewesen sein:

  • Die wichtigste Bedingung für freies Wissen ist seine freie Verfügbarkeit, das heißt: Wissen und Information müssen immer barrierefrei und uneingeschränkt verfügbar sein; als Beschränkungen sind Barrieren im Sinn der Barrierefreiheit zu verstehen, aber auch finanzielle Schranken (pay walls) oder andere Zugangsbeschränkungen wie zum Beispiel die Beschränkung auf einen privilegierten Nutzerkreis;
  • hinzu kommt das Kriterium der Wiederverwendbarkeit freien Wissens: Solches Wissen kann immer wiederverwendet werden, natürlich – wie in der Wissenschaft üblich – unter Nennung der Quelle.
  • Freies Wissen zeichnet sich durch die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Urheber und Nutzer aus: jeder Nutzer ist zugleich wieder Urheber und umgekehrt. Freies Wissen entsteht also kollaborativ. Diese Idee ist zentral für den Humboldtschen Universitätsgedanken, der in der Gemeinschaft von Forschenden/Lehrenden und Studierenden besteht.
  • Wichtig ist auch die Wählbarkeit von freiem Wissen: Der Nutzer (und Urheber) von freiem Wissen bestimmt selbst, wie er sich bilden und wie er forschen will. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist in Deutschland grundgesetzlich garantiert. Wissenschaft und Forschung sind frei. Diese Freiheit beschränkt sich nicht auf Professoren, sondern gilt für alle Menschen als Individualrecht.

Aus diesen Prinzipien lässt sich leicht ableiten, dass der Zugang zu Bildungseinrichtungen für diejenigen, die sich bilden wollen, kostenlos sein muss. Denn die Erhebung von Gebühren beeinträchtigt den freien Zugang zu Wissen und seine Wiederverwendbarkeit, es zerstört die kollaborative Gemeinschaft, wenn einige ihrer Mitglieder plötzlich Gebühren entrichten müssen und schränkt die Wählbarkeit ein, wenn beispielsweise bestimmte universitäre Bildungsangebote kostenpflichtig sind.

Ist das nicht aber paradox? Humboldts Bildungseinrichtungen sollen staatsfern sein, aber diejenigen, die sie in Anspruch nehmen, sollen nichts bezahlen? Das scheint sich auf den ersten Blick zu widersprechen. Betrachtet man Humboldts Vorschläge genauer, löst sich die Paradoxie schnell auf: Zu Humboldts Zeit kam der preußische Staat nach den verlorenen Kriegen gegen Napoleon als Geldgeber nicht in Frage. Die Situation glich also durchaus der heutigen. Daher schlug Humboldt vor, die Grundfinanzierung der Universitäten durch Überschreibung von Domänengütern zu sichern. Diese Idee, der sich aus einem Grundkapital finanzierenden Universitäten ist übrigens an den US-amerikanischen Spitzenuniversitäten realisiert worden. Auch das Konzept der Stiftungsuniversitäten in Deutschland geht in diese Richtung (Niedersachsen hat in dieser Weise zumindest experimentiert). Im Übrigen soll sich die Humboldtsche Universität durch Zustiftungen finanzieren. Humboldt spricht von »Beiträgen der Nation«. Gemeint sind hier nicht »Studienbeiträge« von Studierenden, also Studiengebühren, sondern Geld, das die Nation aufbringt, also in letzter Konsequenz – falls andere Zustifter ausbleiben – eben auch Steuern.

Keinesfalls ist jedoch daran gedacht, dass für diejenigen, die sich wissenschaftlich bilden wollen, und damit ihrerseits im Sinn der kollaborativen Wissenschaftsgemeinschaft am Prozess der Wissenschaft teilhaben wollen, eine „pay wall“ in Form von Studiengebühren errichtet wird.

Es ist allerdings nicht damit getan, dass das Studium gebührenfrei ist. Auch die unwissenschaftlichen Aspekte eines verschulten (»modularisierten«) Studiums müssen abgebaut werden, denn:

Was nicht von dem Menschen selbst gewählt, worin er auch nur eingeschränkt und geleitet wird, das geht nicht in sein Wesen über, das bleibt ihm ewig fremd …

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