Sieht man Horst Seehofer und seinen Drehungen und Wendungen in energiepolitischen Positionen zu, dann könnte man sich tatsächlich dem Vorschlag von Quer im BR anschließen und der Versuchung erliegen, dieseDrehmomente zur Energiegewinnung zu nutzen. Bei aller physischen Größe Horst Seehofers wäre das dann aber doch nicht genug.
Dabei ist Seehofers Taktik durchsichtig, statt einer bedarfsgerechten Planung tastet er sich über Populismus an komplexe Themen wie Abstandsregeln bei Windrädern heran.
Planungssicherheit für Kommunen und Investoren wird Seehofers Wendungen und Drehungen geopfert.Leider führt das allzuoft dazu, das Einzelinteressen gegeneinander ausgespielt und dem Gemeinwohl vorgezogen werden.
Bürgerbeteiligung und Basisdemokratie immer dann, wenn sie der Meinung des Landesvaters nützen. Dabei hätte er 2013 von Anfang an beim Netzausbau auf die Beteiligung der Bürger setzen können, also vor der Zustimmung seiner Staatsregierung zum Netzausbauplan.
Aber noch einfacher wäre es gewesen, den tatsächlichen Bedarf und die Begehrlichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Netzausbau geäußert werden, zu hinterfragen und Transparenz in das gesamte Verfahren zu bringen.
Alle Gedankenspiele hätten mit belegbaren Fakten untermauert und einer Gegenprobe unterzogen werden sollen, dann wäre die Planung vernünftig und die Bürger von Anfang an in die Planung eingebunden.
Doch so wird die Energiepolitik immer wieder zum Spielball von partikularen Interessen und orientiert sich nicht an Notwendigkeiten und sachlicher Logik. Dabei hat gerade Bayern mit dem Leitfaden für kommunale Energiekonzepte ein nahezu perfektes Grundlagensystem für diesen Zweck. Nur wird es leider so gut wie nie umgesetzt.
Jetzt, vor den Kommunal- und Europawahlen stellt Horst Seehofer den Beschluss zum Netzausbau von 2013 vorläufig in Frage und eröffnet so unfreiwillig die Chance, diesen gigantischen Investitionsplan in Infrastrukturen noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Vor allem hinsichtlich der Notwendigkeit.
Insofern: Chapeau lieber Horst, Du hast eine richtige Forderung gestellt, wenngleich auch Deine Motive Fragen aufwerfen.
Etliche Institute und Organisationen wie das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaft), das Ökoinstitut München, der idw (Informationsdienst der Wirtschaft), der DVMW (deutscher Verband Mittelständischer Wirtschaft) und sogar die DENA selbst bezweifeln die Zweckmäßigkeit des Höchstspannungsnetzausbaus. Etliche sind überzeugt, dass für diesen Ausbau überhaupt keine Notwendigkeit besteht.
Aus guten Gründen, denn die Produktionskapazitäten für Strom in den südlichen Bundesländern sind auch ohne Atomkraftwerke ausreichend. Am Beispiel Schwaben sieht man, dass einer Kapaizität von etwa 5.000 MW ein Maximalabruf von 1.972 MW gegenüber stehen. Abzüglich der 2.688 MW Leistung des AKW Gundremmingen verbleiben noch immer 2.312 MW Leistung. Der Zubau an Photovoltaik, Wasser- oder auch Windkraft ist dabei auch noch lange nicht ausgeschöpft.
Solche Potentialuntersuchungen gehören eigentlich zu Beginn einer jeder Planung von Stromautobahnen veröffentlicht. Desweiteren sollten vor dem Trassenbau erst einmal die regionalen Kapazitäten ausgeschöpft werden. An Transparenz mangelt es hier an vielen Stellen, viele Fragen bleiben ungeklärt.
Behauptung 1: Die Stromtrassen nach Bayern sollen den Windstrom nach Bayern transportieren und so die angeblichen Deckungslücken nach dem Abschalten von Gundremmingen und Ohu schließen, denn in Bayern herrscht Energiearmut.
Realität: Atomstrom steht 8.760 Stunden im Jahr zur Verfügung. Windstrom in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern aber nur gesicherte 1.700 Stunden. Bayern hat jedoch genug Kapazitäten, vor allem aber noch mehr als genug Potenzial zum Ausbau generativer Energiequellen.
Wo also soll der Rest zur Deckung der Lücke herkommen?
Dafür stehen, wie zufällig in den ostdeutschen Windregionen, ja zum Glück Braunkohlekraftwerke samt Braunkohlegruben zur Verfügung.
Ist denn der Tausch Atomstrom gegen Braunkohlestrom das, was Bayern als Energiewende will?
Und warum beginnen die Leitungen in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg bei den Kohlekraftwerken, wo doch der meiste Windstrom noch weiter im Norden, in Mecklenburg-Vorpommern erzeugt wird?
Behauptung 2: Die Trassen sind wichtig und notwendig für die Energiewende, also die Reduktion von CO2.
Realität: Der Tausch Atom gegen Braunkohle steigert den CO2-Ausstoß und verschlechtert Bayerns Klimabilanz. Den Ausgleich werden die Endkunden bezahlen müssen, sobald mit Zertifikaten wieder Geld zu verdienen ist.
Wer aber bezahlt denn die Leitungen?
Investoren! Klar, deshalb – so steht es in der Beurteilung des Gesetzesentwurfs – sei der Ausbau kostenneutral für den Steuerzahler.
Stimmt. Der Bürger ist aber nicht nur ein Steuerzahler, sondern auch ein Stromkunde. Die zusätzlichen Kosten für den Endkunden werden mit ca. 2 Cent für jede kWh veranschlagt.
Behauptung 3: Die Stromtrassen sind notwendig um die Preise stabil zu halten.
Realität: Die Trassen müssen refinanziert werden, die Kosten trägt der, der nicht von Netzentgelten befreit ist: Gewerbe, Handel, Dienstleister und Endverbraucher.
Wenn wir schon bei den Investoren sind: Wie funktioniert die Vergabe für Bau und Betrieb einer Stromtrasse?
Investoren, also institutionelle Anleger wie Pensionskassen, Investmentfonds, Banken, uvm. stellen Eigenkapital für die Trasse bereit. Dieses Eigenkapital bildet den Kern für die Finanzierung des Bauvorhabens. Für dieses Eigenkapital garantiert die Bundesnetzagentur eine Rendite von 9%, selbst wenn keine einzige kWh Strom fließen sollte. Das Darlehen selbst wird übrigens vom Bund garantiert, der damit haftbar für diese gesicherten Erträge der Investoren und Baufirmen ist; damit trägt der Steuerzahler das gesamte Risiko.
Behauptung 4: Die Investoren tragen ein Risiko.
Realität: Die Investoren tragen keinerlei Risiko.
Und zum Schluss. Eine Erdverlegung dieser Leitungen unter öffentlichen Grund beispielsweise an Straßen, Gleisen und Autobahnen wäre mit deutlich weniger Widerständen verbunden und einfacher durchzuführen, selbst wenn die Kosten tatsächlich höher liegen sollten. Doch die Entwicklungen der jüngsten Zeit deuten darauf hin, dass die Kosten mit Überlandleitungen vergleichbar sind.
Dieser Streit zwischen Seehofer und seinen politischen Freunden ist eine Gelegenheit, die Notwendigkeit der Trassen zum ersten Mal grundlegend zu prüfen und den tatsächlichen Bedarf durch dezentrale Datensammlung und kumulative Hochrechnung der Leistungsabfragen zu ermitteln.
Aktuell wird die Stromversorgung durch relative Prognosen und Preisverhandlungen bis drei Jahre im voraus auf höchst spekulative Weise geregelt. Darin liegt der wahre Grund für die gelegentlich auftretenden starken Schwankungen. Ein effektivesMonitoring samt den notwendigen Implementierungen in die Bereitstellung von Kapazitäten unterbleibt weitgehend.
Eines ist jedoch klar: Einer klugen Strategie dezentraler Energieversorgung stehen den Stromtrassenplänen der Investoren entgegen.
Zusammenfassend: Chapeau Horst, ein guter Schritt.
Es gibt eine Reihe von guten Gründen, den Bau dieser Trassen zu hinterfragen.
Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Thomas Blechschmidt geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.
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