In der Zeit findet sich heute ein Artikel über Papst Franziskus‘ Ansicht, dass das Schlagen von Kindern in Ordnung sei. Das sollte man besser nicht unwidersprochen stehen lassen.
Papst Franziskus gilt als guter Hirte. Er ist für katholische Verhältnisse sicher ein sehr progressiver Papst, der – im Kontext der bisherigen Dogmen gesehen – nachgerade revolutionäre Ansichten vertritt. Nichtsdestoweniger steht er einer Gemeinschaft vor, die extrem veraltete (moralische) Ansichten immer noch nicht abzulegen in der Lage ist. Das ist deutlich zu merken.
Heute nun findet sich in der Zeit dieser Artikel, in dem er wie folgt zitiert wird:
Einmal habe ich einen Vater bei einem Treffen mit Ehepaaren sagen hören: ‚Ich muss manchmal meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu demütigen‘.
„Wie schön!“, erklärte Franziskus. „Er weiß um den Sinn der Würde. Er muss sie bestrafen, aber tut es gerecht und geht dann weiter.“
Wie schauerlich! Inzwischen ist sogar wissenschaftlich gesichert, dass es immer eine Verletzung der Würde ist, wenn Menschen geschlagen werden – egal welchen Alters. Dem trägt auch die UN-Kinderrechtskonvention Rechnung, und zwar im Artikel 19 Absatz 1. Auch wenn im englischen Originaltext die Rede von „violence“ ist, das als „gesetzwidrige Anwendung von Gewalt“ definiert ist, sollte man nicht leichtfertig darüber hinweggehen.
Ist es im Sinne der katholischen Kirche würdevoll, Kinder möglichst früh ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber Autoritäten zu lehren? Widerstände zu brechen und ein Aufbegehren auch gegen Misshandlung und Missbrauch effektiv zu verhindern? So ermöglicht man den Autoritäten ein geräuschloses Vorgehen beim Überschreiten von Grenzen.
Schlag dein Kind nicht ins Gesicht, heisst es, sonst nimmst du ihm seine Würde. So kann man „Schläge ins Gesicht sieht man eher und sie lassen sich nicht so gut verstecken“ auch formulieren. Und die nicht so direkt sichtbaren Schläge hinterlassen dann auch unsichtbare Narben. Deren Träger dann später als Erwachsene die Praxen von Psychotherapeuten bevölkern.
Franziskus spricht hier sicher nicht davon, dass es in Ordnung wäre, wenn Kinder grün und blau geprügelt werden, solange man sie nicht ins Gesicht schlägt, wo es dann offenbar wird. Wahrscheinlich meint er nur den Klaps auf den Hintern bei schlechtem Benehmen, den harmlosen Schlag auf die Hand, wenn ein Kind mit einer Stricknadel in der Nähe einer Steckdose herumfuhrwerkt.
Dumm nur, dass auch diese beiden Beispiele schon für herabsetzendes Verhalten stehen; man riskiert, dass die Schläge ein alltägliches Werkzeug werden. Die Gefahr, dass auf diese Weise eine Spirale in Gang gesetzt werden kann, an deren Ende dann unfassbare Grausamkeiten stehen können, besteht immer. Genau das gilt es zu vermeiden. Deshalb widerspreche ich dem Papst an dieser Stelle ausdrücklich: Ein „würdevolles“ Schlagen gibt es nicht.
Wer nicht in der Lage ist, seinem Kind richtige Verhaltensweisen beizubringen, ohne dabei auf Schläge – und seien es nur „harmlose Klapse“ – zu verzichten, verletzt die Würde seines Kindes. Ja, es ist schwer, bockigen Kindern in der Trotzphase Grenzen aufzuzeigen. Und man kann durchaus der Verzweiflung und Wut anheimfallen, wenn man so eine geballte Ladung Widerstand im Kindergartenalter vor sich hat, die nun mal dringend ihren Kopf durchsetzen will. Das erfordert viel Geduld und dauert eben seine Zeit. Manchmal ist dabei auch Unterstützung erforderlich. Die Forderung gerade danach findet sich auch im Kinderrechte-Manifest des Kinder- und Jugendgipfels 2014.
Wann immer ein Elternteil einen „Klaps“ verteilt, wann immer ein Lehrer seinen Schüler abqualifiziert: Sie tun es aus der Position des Stärkeren heraus, sie üben Macht aus. Das sollte glasklar sein. Wer aber anderen Macht demonstriert und sie damit in eine machtlose Situation bringt, der setzt sich über den Machtlosen – und übt damit eben auch Gewalt aus. Gerade Kinder haben das Recht des Schwächeren: Sie haben das Recht darauf, dass ihre Erziehung ohne solche Demonstrationen auskommt. Dazu gibt es im deutschen Recht den § 1631 BGB Abs. 2:
Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
Das sollten wir uns alle merken. Sogar der Papst.
Symbolbild: Stacheldraht – cc-by-2.0
Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Astrid Semm geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.
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