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Mythen über die Sperrklausel

Die Stühle der Verfassungsrichter im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgericht. An der Wand ist die bekannte Schnitzerei des Bundesadlers zu sehen.
CC-BY-SA: Wo st 01/Wikipedia

Das Bundesverfassungsgericht hat nach einigen Klagen – eine davon die der Piraten, der sich auch DIE PARTEI anschloss – nun auch die reduzierte Sperrklausel von 3% für die Europawahl gekippt. Dies war irgendwie zu erwarten, ändert doch die Höhe der Sperrklausel nichts an den Gründen, die bereits zum Fall der 5%-Hürde führten.

Und dennoch ist jetzt das Geschrei im Dunstkreis der großen Parteien ziemlich laut. Das Gericht hätte keine Ahnung von den Realitäten im Europaparlament, würde gar das Parlament schwächen und überhaupt besteht doch jetzt die Gefahr, dass die NPD ins Parlament einzieht.

Letzteres Argument ist lediglich ein fieser Seitenhieb und soll die Assoziation »wer für die Rechte kleiner Parteien eintritt, tritt für die Rechte von Nazis ein« wecken. Denn bei aller Abscheu über die braune Sch*iße, die sich unter den kleinen Parteien so tummelt, ist das Wahlrecht der denkbar schlechteste Platz, um den Kampf dagegen auszufechten. In einer funktionierenden Demokratie muss das Wahlsystem stets neutral und fair sein und darf nicht missbraucht werden, um die Arbeit zu erfüllen, welche die Regierung durch Kürzungen in Programmen gegen rechts so sträflich vernachlässigt.

Das andere Argument ist eben die Angst vor der »Zersplitterung« des Parlaments. Ich schreibe »Zersplitterung« in Anführungszeichen, weil es ein Propaganda-Begriff ist. Er soll den Eindruck erwecken, dass die simple Tatsache, dass das Wahlsystem versucht, den Willen der Wähler und nicht den der Parteien abzubilden, etwas Schlechtes ist. Denn jetzt tun all die Apologeten der Sperrklausel, die meinen man hätte damit »gute Erfahrungen gemacht«, einfach so, als hätte die letzte Bundestagswahl, bei der 16% der Wählerstimmen einfach mal keinerlei Auswirkung auf die Zusammensetzung des Parlaments hatten, nie stattgefunden.

In der Diskussion werden immer wieder Schreckenszenarien gezeichnet, die hinkende Vergleiche zur Weimarer Republik oder Italien ziehen. Denn sie verkennen unter anderem, dass das Europäische Parlament schon jetzt aus sieben Fraktionen und 32 fraktionslosen Abgeordneten aus rund 160 Parteien (darunter z.B. auch zwei Piraten aus Schweden) besteht und im Vergleich zu manch anderem Parlament recht gute Arbeit leistet, wie man etwa beim Abschuss von ACTA gesehen hat. Dagegen ist zum Beispiel die Arbeitsunfähigkeit des US-Kongresses, der dank eines diskriminierenden Wahlverfahrens nur aus zwei Parteien besteht, in den US-Medien schon lange zum Running-Gag geworden.

Der so oft an die Wand gemalte Teufel der Arbeitsunfähigkeit des Parlaments ist nur ein Vorwand, denn in Wirklichkeit geht es den großen Parteien ganz banal um Machterhalt. Zum einen bedeuten Sitze, die an kleine Parteien gehen, dass man weniger eigene Mitglieder in Mandaten platzieren kann. Zum anderen stärkt es kleine Parteien, wenn diese parlamentarische Ressourcen und Erfahrung gewinnen und untergräbt damit den Herrschaftsanspruch der großen.

Ohne die Sperrklausel ist es plötzlich viel einfacher, mögliche Alternativen aufzubauen; schon allein deswegen, weil die selbsterfüllende Prophezeiung »Die schaffen die Hürde ja eh nicht« wegfällt. Und dann müssen Parteien, die seit Jahrzehnten wie die Made im Speck in den Parlamenten sitzen, plötzlich ernsthaft zittern. Fälle wie die FDP könnten dann viel häufiger auftreten.

Ja, das schwächt in letzter Instanz die Parteien, aber es stärkt die Wähler und genau darauf kommt es bei einem Wahlsystem an. Wir sollten daher nicht auf die ewig gestrigen Schwarzmaler hören, die das Urteil des Verfassungsgerichts als Sargnagel unserer Demokratie sehen, sondern es als Chance begreifen, endlich an diesem verkrusteten politischen System zu rütteln. Denn selbst wenn das Gericht schon klar gemacht hat, die Sperrklausel bei Bundes- und Landtagswahlen nicht anzufassen, so fängt die politische Debatte darüber mit den heutigen Tat erst richtig an.

Titelbild: – CC-BY-SA 3.0 Wo st 01/Wikipedia

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Andi Popp geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

1 Kommentar zu “Mythen über die Sperrklausel

  1. Zu dem Nazi-Argument hat das Bundesverfassungsgericht bereits alles gesagt (nicht, dass das Volkspartei-Politiker irgendwie interessieren würde…):

    Die Bekämpfung „krankhafter“ Parteien bedeutet in diesem Zusammenhang aber ein sachfremdes Motiv. Dafür steht nur das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG zur Verfügung. Überdies lassen sich Krankheiten des Volkskörpers nicht mit wahltechnischen Mitteln bekämpfen. (2 BvH 1/52; BVerfGE 1, 208)

    Als nächstes sind die Bundestags- und Landtags-Sperrklauseln dran:
    Bisher scheint über die 5%-Hürde nur im “alles oder nichts”-Modus diskutiert zu werden. Es gibt eine bessere (d.h. rechtlich leicht durchsetzbare) Möglichkeit als die komplette Abschaffung der Sperrklausel:

    http://www.hauke-laging.de/ideen/abgeordnete_ohne_stimmrecht/

    Ich halte die aktuelle Handhabung der Sperrklausel für offensichtlich rechtswidrig, weil die vom BVerfG akzeptierten Gründe lediglich den Ausschluss von Abstimmungen rechtfertigen, nicht aber den kompletten Ausschluss von der Parlamentsarbeit, der somit aus einer ganzen Reihe von Gründen eine *nicht gerechtfertigte* massive Verletzung der Rechte von Wählern und Parteien darstellt (wie das BVerfG in seinen Urteilen selber ausführt, kann man direkt zitieren).

    Besonderes Augenmerk verdient dabei die Betrachtung der Wahlaussichten bei der Folgewahl. Der gravierende Unterschied in der politischen Arbeitsfähigkeit zwischen Parteien mit 5,0% und 4,9%, der sich aus dem status quo ergibt, ist von großer Bedeutung für den Ausgang der Folgewahl, was sehr problematisch ist: Parteien halten sich damit Konkurrenz vom Hals. Der Gesetzgeber ist naturgemäß in dieser Frage nicht neutral, was die rechtlichen Anforderungen an den Parlamentsausschluss noch verschärft.

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