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SPD: „Der Rückschritt geht nicht schnell genug“

Michaela Keupp - CC-BY-SA
Michaela Keupp - CC-BY-SA

Nicht nur, dass die CSU – eine für rückwärtsgewandte Politik bekannte Lokalpartei – eine flächendeckende Videoüberwachung des ÖPNV fordert. Gelinde gesagt, wäre das schon Anlass genug, mal wieder einen Blogpost zu schreiben.

Nein, die SPD, also ihr Fraktionsvorsitzender Rinderspacher, setzt im Profilierungswahn noch einen drauf: Die Forderung jetzt erst aufzustellen, solle die bisherige Untätigkeit verdecken, die Überwachung auszubauen.

Liebe SPD, fehlt Euch ’ne Achse? Oder gleich ein ganzes Drehgestell? Wenn sich die CSU schon mit rückwärtsgewandter Sicherheitspolitik blamiert, muss man dann auch noch draufsetzen, dass das alles nicht schnell genug geht? Ist „das geht nicht schnell genug“ Euer Universaldeckel für politische Schnellkochtöpfe? Egal was, erstmal antworten, dass es nicht schnell genug bei dem Thema voran geht? So schafft man den Wechsel bitte wie genau?

Wenn sich morgen die CSU mit der Forderung nach totaler Kennzeichenerfassung auf allen Straßen mit mehr als 5.000 PKW/Tag blamiert, kommt dann auch von Euch „Das geht aber nicht schnell genug?“.

Ich tue es ja nur ungern, aber ich nehme hier mal ausdrücklich die FDP in Schutz: Videokameras erzeugen eine Datenfülle, die sich nicht mehr herkömmlich überwachen lässt. Je mehr es davon gibt, desto mehr verliert diese Überwachsungsform an Abschreckung, da das Risiko, dass jemand „im richtigen Moment“ zuschaut, sinkt. Und die technischen Lösungsansätze mit permanenter Überwachung widersprechen dem Grundgesetz.

Als normaler Bürger fühle ich mich schon heute in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Es gibt Plätze in Bussen und S-Bahnen, auf die setze ich mich nicht. Die Vorstellung, mir schaut ein in der Nase bohrender Sicherheitsbeamter aus irgendeiner Leitzentrale zu, widert mich an. Es gibt Unterführungen und Wege, die benutze ich aus demselben Grund bewusst nicht. Ich passe schon heute mein Verhalten der Überwachungstechnik an. SPD und CSU, was interessiert Euch, dass Ihr mir in jeden Winkel folgen wollt? Warum nötigt Ihr mich mit Eurer Sicherheitstechnik, mich nicht mehr frei zu verhalten?

Und noch eine ganz andere Frage stellt sich: Wie zum Teufel wollt Ihr die Bilder übertragen? Also, ich meine technisch. Technik ist ja nicht unbedingt die Domäne der normalen 08/15-Politiker wie sie die CSU mit Herrmann oder die SPD mit Rinderspacher zu bieten hat. Wenn ich die Ankündigung Herrmanns richtig verstehe, dann soll diese Vollüberwachung ja den Polizeikräften ein schnelles Lagebild aus der Ferne ermöglichen. Ich meine jeder, der regelmäßig Bahn fährt, kennt abgerissene Telefongespräche á la „Hallo? Hallo? Hallo?“ – „piep piep piep“. Und so eine Stimmenübertragung ist noch relativ datenarm, gemessen an einer Videoübertragung.

Und nachdem Ihr Bilder aus Fahrzeugen bekommen wollt, fällt die feste Verkabelung als Option weg. Das Handynetz ist trotz des zweiten Jahrzehnts Breitbandausbau (warum fragt die SPD hier nicht, warum nichts weiter geht?) immer noch hinter Netzen in Afrika und Südamerika weit zurück (und das meine ich ernst). Und Euer toller, teurer digitaler Behördenfunk schafft es nicht wirklich, mit einem Analogmodem mitzuhalten.

Dem stehen etliche hunderttausend neue Kameras gegenüber, die sich quer durchs Land und sogar ins Ausland bewegen, denn Regionalverkehr überfährt auch Grenzen, zum Beispiel im Inntal, nach Salzburg usw. Gemessen am Behördenfunkdebakel habe ich sogar Zweifel daran, dass es die bayerischen Sicherheitsorgane hinbekommen, die aktuelle Position der jeweiligen Kamera so zeitnah herauszufinden, dass ein Eingriff überhaupt möglich ist.

Wenn es einfach nur auf die Festplatte im Fahrzeug geschrieben wird, dann hilft das vielleicht (und wie die Münchner S-Bahn zeigt, auch nur mäßig) gegen Grafitti. Aber bei Bussen ist der Busfahrer viel näher dran, um einzugreifen und bei Bahnen gibt es „Schaffner“ (Zugbegleiter), die Vandalismus melden können und müssten. Was bringt dann noch eine solche Aufzeichnung?

Kurzum: Der Funktionsumfang muss sowieso massiv zusammengestrichen werden. Der Restnutzen ist fraglich, der Schaden an den Bürgerrechten dafür unermesslich. Aber macht Euch ruhig weiter zu sicherheitspolitischen Affen mit solchen Forderungen (Vollüberwachung) und solchen Reaktionen (geht nicht schnell genug). Sowas vereint Eure freiheitsliebenden politischen Gegner – und sichert den Einzug der Piraten in den Landtag.

Foto: Michaela „Marce“ KeuppCC-BY-SA

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Andreas Witte geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

11 Kommentare zu “SPD: „Der Rückschritt geht nicht schnell genug“

  1. Uwe Kretschmer

    Mehr Personal als Kameras ist aber auch nicht das Gelbe vom Ei wenn man bedenkt wie respektlos junge Menschen gegenüber Sicherheitspersonal ist. Busfahrer und Schaffner zu beleidigen ist doch an der Tagesordnung und wenn die Polizei dazu kommt hat man auch keinen Respekt, weil Konsequenzen gibt es ja eh keine.

    Nach zwei Vorfällen im örtlichen Bus fahre ich lieber mit dem Auto.

  2. Drehgestell? Die sind so rückständig, da gab es noch keine Drehgestelle, sondern Lenkachsen 😉

  3. Mehr Personal führt aber zu einer geringeren Belastung des einzelnen Angestellten und damit zu einer erhöhten Stressresistenz, was wiederum zu weniger Eskalationen führt. Ich denke auch, wir hätten weitaus nettere und entspanntere Polizisten, wenn derer mehr unterwegs wären und diese nicht so stark überlastet wären. Dann bräuchte man auch weniger Kameras. Ich finde es immer noch angenehmer, mit Menschen zu interagieren, als den toten „Augen“ einer Kamera gegenüber zu stehen.

  4. 1. Der sog. Innenminister sollte die Verfassung schützen.
    2. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Flächendeckende Überwachung ist verboten und rechtswidrig.
    3. Was macht der Innenminister: Ist mir total egal. Ich überwach trotzdem. Wann zieht jemand diese konkrete Gefahr für unsere Freiheit und unsere Grundrechte endliche aus dem Verkehr?
    4. Ich erwarte von der Piratenpartei deshalb, daß ihr ihm Wahlkampf dieses Thema flächendeckend beklebt. Mögliche Wahlkampfmotive sind:
    a) Keine Vorfahrt für Überwachungskameras (im Bild: ÖPNV-Bus, der an der Ampel einem Radfahrer die Vorfahrt nimmt)
    b) Näher am Menschen (im Bild: Überwachungskamera mit Zoom)
    c) Wer überwacht, wird bestraft
    d) Vidoeüberwachung an allen Haltestellen – Oder niemand hat die Absicht, einen Überwachungsstaat zu errichten
    e) George Orwell war keine Vorlage, sondern ein Warnschuß für die Demokratie
    f) Staats-STALKING: Fühlen Sie sich sicher?
    g) Sicherheit für wen: FÜR DIE HERRSCHENDEN UND MÄCHTIGEN
    h) Überwachen, veräppeln, Geld aus der Tasche ziehen. Nur PIRATEN schützen vor Überwachung.
    i) Wir wollen den gläsernen Staat und nicht den gläsernen Bürger
    j) Weitere Vorschläge folgen

    Bitte macht das. Ich halt es nicht mehr aus, es wird immer schlimmer mit de.

  5. Christine G.

    Ich fahre nur noch Auto und Rennrad. Da werde ich nicht überwacht. Die Statistiken sind gefälscht. Es fahren nicht mehr Menschen mit Bus und Bahn, sondern weniger. Die Bahn ist für mich ein kriminelles Netzwerk. Ich hab kein Vertrauen mehr in den Überwachunsgs- und Polizeistaat. Ich nehme mir vor, nicht anzuhalten, wenn die „Polizei“ mich auf dem Rad anhalten will. Man muß es dem Staat heimzahlen. Wer intelligent ist, merkt, was im Moment passiert: Die Herrschende Klasse will die Gunst der Technischen Möglichkeiten nutzen, und erzählt uns was vom „Kampf gegen den Terror“ und deshalb brauche man die Überwachungskameras. Die eigentlichen Terroristen sitzen aber ganz woanders.

    Wer intelligent ist, und das sind zwischen 20- 80 % der Bevölkerung, wählt Piratenpartei. Andere Parteien kann man nicht wählen. Die „SPD“ niemals, weil sie gesagt hat, die „CSU“ habe es verschlafen, noch mehr illegale Überwachungskameras aufzubauen. Jede Stimme für die „SPD“ ist eine Verräterstimme. Und die Grünen Vorsitzende hat damals gesagt, die Qualität der Überwachungskamerabilder am Hbf sei viel zu schlecht, wir brauchen noch mehr und bessere. Auch die „Grünen“ darf man nicht wählen. Wenn es den Grünen erst wäre mit Energiesparen, würden sie die hunderttausend Überwachungskameras in Deutschland per Gesetz verbieten. Nur die Piraten können das tun.

    Deshalb zähle ich auf euch, daß ihr in den Bayerischen Landtag kommt.

    Und bitte druckt diese Wahlplakate. Am besten gefällt mir der Spruch „Keine Vorfahrt für VÜK“.

    Danke

  6. Das sind gute Wahlplakatsprüche.
    Ich hätte noch ein paar Wahlplakatsprüche:
    Überwachung macht AGGRESSIV! Spüren Sie es schon?
    Gesichtsmasken schützen vor Videoüberwachung!
    Jetzt neu: Gesichtsmasken mit dem Gesicht ihres Nachbarn.

    Und bitte: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Die Gesichtsmaske mit dem Gesicht des Innenministers. Mal schauen, die schnell die Polizei dann ihn festnimmt, wenn er auf den Tatortbildern eindeutig zu erkennen ist! Bitte macht das! Das blöde Gesicht des I.Min. will ich dann sehen.

  7. Anonym

    Die SPD und die ÜBERWACHUNG sind schon lange eng verschwistert. Das nimmt man in Bayern bloss deshalb nicht besonders wahr, weil dort ganz überwiegend die CSU politisch das Sagen hat.
    Liebe Bayern, schaut zur Klärung einfach in die geschichtlichen Annalen des angrenzenden Nachbarlandes Hessen, dann bekommt Ihr einen Eindruck: In „http://www.zeit.de/1953/03/und-abermals-hessen“ und „http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-25657254.html“ wird bereits in 1953 zum Thema Überwachung – da allerdings als systematisches Überwachen-lassen tatsächlicher und vermuteter politischer Gegner durch die SPD – berichtet. Alles unter Zweckentfremdung des 12. Frankfurter Polizeikommissariats in Richtung einer SPD-Geheimpolizei. Die SPD hat es doch oft genug ausgedrückt: sie sieht sich als Traditionspartei!

    • @Anonym
      Sie wohnen nicht in Bayern, oder?
      Zum Thema „Überwachung in Bayern und Hessen“:
      Kleines Fest in Bayern, an der Grenze zu Hessen. Die Polizei erscheint, kontrolliert ob alles ok ist.
      Die hessichen Gäste: Ja was denn los sei. Die Polizei wäre ja da!
      Das war sehr lustig, als den verunsicherten Hessen dann erklärt wurde, dass die Polizei nur zur Kontrolle da wäre und dass sowas in Bayern ganz normal sei. 🙂
      Über eine angebliche hessische Geheimpolizei steht also etwas in der Presse? Was sagt das über den Zustand dieser „Geheim“-Polizei aus?
      In Hessen ist das Abitur viel lascher als in Bayern. Das bestreitet keiner der sich informiert. Bei der Polizei ist das aus bayerischer Sicht eindeutig auch so. Statt lascher könnte man auch „humaner“ schreiben, je nach Weltanschauung.

  8. Anonym

    @UdoW
    Nein, ich wohne nicht in Bayern. Für den Sachverhalt ist das jedoch ohne Bedeutung. Es geht nicht um den Vergleich zweiter benachbarter Bundesländer, sondern Thema sind bereits jahrzehntealte Erkenntnisse zur Mentalität der SPD in Bezug auf RECHTSSTAATLICHKEIT, auf VERHALTENSWEISEN und ganz besonders in Bezug darauf, was als politisches TABU gelten und als solches auch respektiert werden muss: aus RESPEKT für den Rechtsstaat! Darf man annehmen, dass das, was namentlich bei der SPD in 1953 (= bald nach Verfolgung, NS-Diktatur und Weltkrieg) schon nicht mehr viel zu gelten scheint, in 2013 und danach höheren Respekt geniesst, oder geniessen wird?
    Sie haben die beiden Artikel von ZEIT und SPIEGEL offensichtlich gar nicht gelesen, sonst wäre es Ihnen nicht in den Sinn gekommen, eine kleine Feier oder das jeweilige Landesabitur in diesen Zusammenhang zu verlegen. Ihr Begriff „Laschheit“ ist hier ebenfalls völlig deplaziert. Nicht das Wort „humaner“, sondern dessen negatives Gegenstück „inhumaner“ ist die einzige noch anwendbare sprachliche Steigerungsform, will man die praktischen Auswirkungen solcher Mentalitäten – so man sie denn gewähren lässt – auf den Lebensalltag der Bürger beschreiben. – Aber vielleicht lag es einfach an der späten Stunde, zu der Sie sich zu Ihrem Kommentar bemüssigt sahen?

    • Was ich durch meine harmlosen Beispiele sagen wollte:
      Als Bayer stellt man sich nicht die Frage ob eine Behörde im Interesse der Regierenden (offiziell: des Rechtsstaats) überwacht was hier gerade geschrieben wird. Sondern man stellt sich höchstens die Frage welche Behörde hier mitliest und wem sie Bericht erstattet.
      Rechtsstaat? Die bayerische Polizei greift sofort hart durch, und wenn man dann sowas sagt wie: „Moment, das ist mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar!“ Erhält man eine Antwort wie: „Bei präventiver Polizeiarbeit trifft das Rechtsstaatsprinzip nicht zu.“ (Wurde mir persönlich gesagt)
      Willkommen in Bayern! Über die bayerischen Politiker muss ich hier nichts schreiben, über zu vielen bayerischen Richtern steht nur deren Gewissen und Gott (leider nicht die Gesetze), Exekutive hatten wir schon.
      Und dann jammern Sie hier über Tabus?
      Diese Tabus wurden in Bayern auf dem Opferaltar der Scherheit geopfert! Die gibt es in Bayern nicht mehr!
      Positiv: Verbrecher haben in Bayern ein größeres Problem als z.B. in Hessen. Aber ist es das Wert?
      Viele (die Mehrzahl?) der Bayern würde folgendem Satz zustimmen:
      „Die persönliche Sicherheit jedes Einzelnen ist so wichtig, dass der Rechtsstaat dort zurückweichen muss wo er die Sicherheit der Bürger gefährdet indem er die Arbeit der Polizei und der Justiz behindert.“
      Das ist Bayern. Deshalb steht die Zschäpe auch in Bayern vor Gericht…

      • Anonym

        @UdoW
        Einige Dinge bleiben sich gleich. Die Überwachung dieses Forums dürfte in allen Bundesländern (auch in den nördlicheren) mit derselben Zuverlässigkeit erfolgen. Der Pool, in den die „Erkenntnisse“ fliessen, steht vermutlich behördenübergreifend zur Verfügung.
        Ich jammere nicht über Tabus, möchte nur anhand von längst vorliegenden Veröffentlichungen zu belegen, dass Hoffnungen auf ein deutlich anderes Verhalten von heutigen Oppositionsparteien vergebliche Hoffnungen sein werden, solange kein grundsätzlicher Mentalitätswechsel eingetreten ist. Und namentlich die SPD hat ihre eigenen Traditionen. In Bayern erhielt diese SPD jedoch bisher nie die Gelegenheit, ihre Traditionen flächendeckend vorzuführen.
        Wie schnell sich die angestrebte Sicherheit in Willkür verwandeln kann, wenn man die Kontrolle der eingesetzten Machtmittel geringschätzt und vernachlässigt, zeigt das Schicksal des Herrn G. Mollath. Korruption und politisch organisierte Kriminalität sind Gefahren, die nicht nur in allen Bundesländern potentiell bestehen, sondern offenbar auch überall zur praktischen Auswirkung gelangen.
        In diesem Zusammenhang sehe ich das Engagement der bayrischen Piratenpartei als ermutigendes Zeichen und bin umgekehrt von ihren bisherigen Mitgliedern enttäuscht, wenn ich nachlese, dass von über 6800 Unterstützern Ende 2012 im April 2013 nur noch ca. 7% über die Entrichtung der Beiträge ihre vollwertige Mitgliedschaft aufrechterhalten haben. Haben die aktiven Mitglieder solche Entsolidarisierung verdient?

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