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Wie geht’s eigentlich Amazon?

Sean MacEntee - CC-BY
Sean MacEntee - CC-BY

Als Amazon Ende Januar die Ergebnisse des Geschäftsjahres 2012 bekannt gab, diskutierte noch niemand über den Umgang mit den Beschäftigen und deren Arbeitsbedingungen im hessischen Versandzentrum Bad Hersfeld.

Die Sondersendung »Ausgeliefert« der ARD war noch nicht ausgestrahlt. Die Agentur für Arbeit hatte noch keine Sonderprüfung beim über die Landesgrenzen hinaus agierenden bayerischen Personaldienstleister Trenkwalder durchgeführt. Bei dem in München ansässigen Unternehmen hatte auch noch niemand eine Stellungnahme abgegeben, warum hier eigentlich auch irgendwie bitte keine Schuld zu suchen sei. Es gab noch keine Debatte dazu im Bundestag.

Da ging’s Amazon noch blendend, oder?

Für viele überraschend, hatte der größte Online-Händler der Welt in seinen Geschäftszahlen zwar einen Umsatz von satten 46 Milliarden Euro (davon 6,6 Milliarden in Deutschland) bekanntzugeben, allerdings keinen Rekord-Gewinn. Tatsächlich machte Amazon 2012 gar keinen Gewinn, sondern etwa 30 Millionen Euro Verlust.

Wenn aber der größte Online-Händler der Welt schon keinen Gewinn macht, was bedeutet das dann für die Konkurrenz ab dem zweiten Platz abwärts, für die ganze Branche? Aus Kundensicht mögen knappste Margen und effizienteste Logistik ja grundsätzlich erstrebenswert sein – was es für die Beschäftigten bedeutet, können wir aktuell beobachten. Es ist eine problematische Entwicklung, für die wir verantwortlich sind. Wir alle, wenn wir eine Kaufentscheidung treffen. Wir Konsumenten.

Nicht nur bei Amazon, nicht nur bei Elektronik und Büchern, nicht nur im Internet. Immer wenn wir Milch kaufen, einen Döner, einen Haarschnitt. Immer wenn wir nach dem bekanntlich einzig wichtigen Kriterium entscheiden: nach dem Preis.

Und immer wenn wir darauf achten, ob‘s nicht noch irgendwo günstiger geht. Oder zur Not auch billiger. Im Preiskampf, den wir befeuern, online auf eBay und um die Ecke bei Aldi, da gibt es ganz klare Verlierer.Der Qualität eines Produkts gestehen wir einen gewissen Einfluss auf dessen Preis zu. Der Qualität des Beschäftigungsverhältnisses der Person, die für uns das Produkt herstellt, anliefert, serviert oder abkassiert, eher nicht. Das ist ein Problem.

Das Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland kennt das Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe. Ein Leben in Würde ist nur möglich, wenn für die Grundbedürfnisse gesorgt und eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich ist. Die benötigten finanziellen Mittel werden in der Regel durch Erwerbseinkommen erzielt, wofür ein Arbeitsplatz erforderlich ist. Aber eben ein vernünftiger mit fairen Beschäftigungsbedingungen.

Die Folgen dieser problematischen Entwicklung, zum Beispiel zu beobachten bei Amazon in Bad Hersfeld, schockieren zwar – aber überraschen kaum.

In wenig anderen Bereichen sind wir so direkt verantwortlich und könnten gleichzeitig die Folgen unserer Entscheidungen so direkt beobachten wie beim Einkauf – wenn wir denn die Augen aufmachen wollten. So, und jetzt? Sollten wir jetzt nicht Amazon boykottieren?

Hauptsächlich sollten wir überlegen, ob wir nicht unsere »Kaufentscheidungskriterien-Eindimensionalität« erweitern wollen.

Etwa um den wie-geht‘s-eigentlich-der-Person-die-in-meinem-Supermarkt-kassiert-kann-die-mit-ihrer-Familie-eigentlich-tauglich-davon-leben?-Faktor.
Oder den wie-geht‘s-eigentlich-der-Person-die-mir-meine-Haare-schneidet-kann-die-mit-ihrer-Familie-eigentlich-tauglich-davon-leben?-Faktor.
Oder den wie-geht‘s-eigentlich-der-Person-die-mir-die-Pommes-frittiert-kann-die-mit-ihrer-Familie-eigentlich-tauglich-davon-leben?-Faktor.

Was brauchen wir dafür?

Was wir brauchen ist guter Wille. Guter Wille, bei uns zu beginnen, in unserer Stadt, in unserer Gemeinde, in unserer Kommune. Und ein bisschen Information. Information, bei welchen Betrieben fair beschäftigt wird. Wo die Qualität des Beschäftigungsverhältnisses der Person, die für uns das Produkt herstellt, anliefert, serviert oder abkassiert, nicht allein als zu minimierender Kostenfaktor betrachtet wird.

Eine Art „fair-beschäftigt“-Siegel, auf kommunaler Ebene, mit dem diese Betriebe auch werben können.

Und guten Willen. Nicht vergessen.

Symbolbild: Sean MacEnteeCC-BY

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Johannes Görgen geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

6 Kommentare zu “Wie geht’s eigentlich Amazon?

  1. Willkommen in der Welt der LOHAS. Also die Herleitung von Amazon ist etwas „gewöhnungsbedürftig“, die Idee aber schon gut, wenn auch älter. In Deutschland würde ich mal Fred Grimm mit „Shopping hilft die Welt verbessern“ lesen. Christoph Harrach hat für die Idee mit KarmaKonsum sehr viel getan und bevor Facebook unumgänglich wurde, hat es Claudia Langer mit Uropia.de versucht. Wäre toll, wenn die Piraten die längst bestehende Diskussion hier etwas auffrischen könnten und sich mit den bisherigen Playern verbinden.
    Ich bin bereit zu vermitteln, auch wenn ich als alter LOVOS die LOHAS immer etwas skeptisch sehe. Aber mei, wenns der Sache dient…

  2. Thomas U.

    Ich kann dem Artikel nur voll zustimmen. Wir Konsumenten und unsere einseitige Fokussierung auf den Preis eines Produkts sind mitverantwortlich dafür, dass Einzelhändler mit allen Mitteln versuchen, Kosten zu sparen. Zu den „Kostenfaktoren“ gehören die Personalkosten der eigenen Beschäftigten, aber auch die Einkaufspreise beim Hersteller. Beides soll so niedrig wie möglich gehalten werden.

    Ein Problem ist im Artikel aber nicht angesprochen worden: Viele Leute hätten die Möglichkeit, bewusster einzukaufen und damit auch dazu beizutragen, dass Händler, die ihre Beschäftigten ausbeuten, boykottiert werden. Aber leider gibt es auch viele Menschen in Deutschland, die diese Wahlfreiheit nicht haben. Das sind eben genau die schlecht bezahlten Arbeitskräfe im Einzelhandel, die Friseure usw. Somit schaffen wir uns teilweise auch einen Teufelskreis, denn Leute die schlecht bezahlt werden, müssen u.U. nach günstigen Preisen Ausschau halten und in Geschäften einkaufen, die ihre Angestellten schlecht bezahlen. Diese Angestellten wiederum müssen dann beim Friseur sparen und so schließt sich der Kreis.

  3. Anonymous

    Was ich bei Amazon nicht verstehe, ist wieso die Bedingungen so grauenhaft sein müssen/mussten. Mitarbeiter schlecht zu bezahlen, ist etwas, was ziemlich weit verbreitet ist. Aber die Mitarbeiter dann auch noch irgendwo am Ende der Welt in Sammelunterkünften unterzubringen und à la 1984 zu überwachen, durch eine Firma namens „Hess Security“, deren Mitarbeiter auch noch Kleidung tragen, die Amazon selbst aus politischen Gründen nicht verkaufen will (Thor Steinar), das geht imho entschieden zu weit und ich kann auch nicht nachvollziehen, wieso dieser Unfug für Amazon von Vorteil sein soll.

    Mein Vorschlag: Einfach mal bei der Mitarbeiterüberwachung sparen.

    Was den Armutsteufelskreis angeht, ich kann das sehr gut nachvollziehen. Ich habe selber zur Zeit nur wenig Geld – die Folge: Wenn ich ein Paket verschicke, bekommt der Hermes-Bote, der es zustellt, womöglich nur einen effektiv negativen Lohn, weil ihn das Auto mehr kostet, als die 60 ct., die er pro Paket verdient.

    Mit einer Erhöhung der Sozialleistungen würde sich das ändern – die Verbraucher hätten dann die Möglichkeit, auch andere Kriterien als nur den Preis beim Einkaufen zu berücksichtigen. ARbeitnehmer könnten es sich eher leisten, unterbezahlte Jobs abzulehnen. (Wohlgemerkt, das BGE ist in erster Linie eine Vereinfachung des Sozialsystems und der Einkommenssteuer, bedeutet aber nicht zwangsläufig eine Erhöhung der Bezüge eines Bedürftigen)

  4. Wer sich für die Hintergründe bei Amazon interessiert und mal die Arbeitnehmer dazu hören will: http://www.amazon-verdi.de/

    Und, es gibt gute Alternativen zu Amazon:

    z.B.
    buecher.de
    http://www.hugendubel.de/
    etc

  5. Ich kann mich noch an die guten alten Zeiten[tm] erinnern, wo der Postbote auf einen Schnaps mit rein kam, wo man auch das neueste aus der Umgebung erfahren konnte.

    Puh, aber das geht ja gar nicht! Schnaps! Im Dienst! und dann noch Zeit vertrödeln.

    Aber genau das ist es, was das Leben lebenswert macht.

    Zeit.

    Muße.

    Auch deswegen bin ich als Unternehmer (!) für das bedingungslose Grundeinkommen.

    Respektieren wir uns.

  6. weitere Unwahrheiten über Amazon?
    Zitat: ‚Als würden die Menschen dressiert werden‘

    Quelle: http://www.sueddeutsche.de/bayern/neue-vorwuerfe-gegen-amazon-als-wuerden-die-menschen-dressiert-werden-1.1614066

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