Kommentar Politik

Brexit: Das Vereinigte Königreich am Scheideweg

Foto der Europaflagge neben der Deutschen und Englischen
Europa vereint?
MarcmoCC-NC-ND

Der britische Premierminister David Cameron hat am gestrigen Mittwoch in seiner Rede zur Europäischen Union ein Referendum über den weiteren Verbleib des Vereinigten Königreichs (UK) in der EU für 2017 angekündigt. Vorausgesetzt, das britische Volk schickt seine Partei bei den Wahlen 2015 wieder in die Regierung und gibt ihr damit ein Mandat, bis 2017 die Mitgliedschaft „neu zu verhandeln“, um das Ergebnis zur Abstimmung stellen zu können.

Cameron spekuliert darauf, der Gemeinschaft im Zuge der Reformen zur Stabilisierung der gemeinsamen Währung und dem damit heraufziehenden, immer stärker werdenden europäischen Föderalismus manche Zugeständnisse abzuringen, die den Euroskeptikern zusagen würden. Dazu gehört zum Beispiel eine Rücknahme der Arbeitszeitdirektive, die u.a. Höchstarbeitszeiten vorschreibt. Soweit nichts Neues: Großbritannien will sich in Europa die Rosinen herauspicken. Um nicht unfair zu sein: Großbritannien ist nicht das einzige Land, welches das versucht, wenn auch das prominenteste. Aber auch eine Reform der gemeinsamen Fischerei- und Landwirtschaftspolitik wird ebenso angestrebt wie ein Ende des parlamentarischen Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg. Es ist also nicht alles falsch, was gefordert wird.

Dazu kommt, dass das heutige Großbritannien ideell in vielen politischen Fragen ein Verbündeter der Bundesrepublik ist. So ist Großbritannien etwa ein Gegner von Protektionismus (böse Zungen würden sagen „Vetternwirtschaft“) wie ihn beispielsweise Frankreich gerne hätte. Die Piraten stehen ebenso für offene und transparente Märkte, und sind damit der britischen Position in diesen Punkten gar nicht so abgeneigt. Gleichzeitig ist der Wunsch nach einem „durch eine gemeinsame Verfassung konstituierten, rechtsstaatlichen, demokratischen und sozialen Europa“ vorhanden, was manchen Briten zu weit geht. In einem solchen Europa wäre Großbritannien jedoch durch seine jahrhundertelange demokratische Tradition, seine reiche Kultur, seine Wirtschaft und seinen Einfluss in der Welt ein sehr wichtiger Bestandteil, um den es sich zu kämpfen lohnt.

Die Mitgliedsländer in Europa müssen mehr Gemeinsinn lernen. Auf nationalen Partikularinteressen – dem Herauspicken von Rosinen – zu viel Rücksicht zu nehmen macht die EU & Co. undurchsichtig und undemokratisch. Eine zukunftsfähige supranationale Gemeinschaft darf nicht andauernd Vereinbarungen auf Regierungsebene treffen, statt durch gemeinsame demokratische Institutionen wie dem Europäischen Parlament. Diese innere Zerrissenheit macht Europa angreifbar: Sprechen wir nicht mit einer Stimme, kann man uns gegeneinander ausspielen. Deutsche kennen das aus der Geschichte vor 1871.

Ziel sollte es also sein, dem Durchsetzen von Partikularinteressen zwar eine Absage zu erteilen, gleichzeitig aber an anderer Stelle entgegenkommend zu sein. Das Fischerei- und Landwirtschaftsbudget macht nach wie vor den größten Teil des europäischen Haushalts aus und subventioniert sogar Dinge wie Blumenzucht oder Weinbau. Es kann massiv umgestaltet werden. Das „Pendel-Parlament“ kostet jährlich hunderte Millionen Euro und bringt Europas Bürgern keinerlei Mehrwert. Es könnte ausschließlich in Brüssel tagen. Das sollte einhergehen mit einer weiteren Aufwertung eben dieses Parlaments, zum Beispiel durch Übergang des Initiativrechts für Gesetze von der Kommission auf das Parlament. Es wird Zeit für eine Abkehr von den Regierungsabsprachen hinter verschlossenen Türen, dem sogenannten Intergouvernementalismus der Anfangsjahre. In Deutschland bestimmen schließlich auch nicht die 16 Landesregierungen! Das alles wird zwangsläufig die deutsch-französischen Beziehungen belasten, denn Frankreich profitiert stark von den Subventionen, sträubt sich seit jeher gegen eine Schließung des Straßburger Parlamentssitzes und war dem Intergouvernementalismus gegenüber schon immer positiv eingestellt.

Wenn Deutschland sich also gegenüber dem Vereinigten Königreich durch ein Entgegenkommen hart aber gerecht verhält, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach keinen „Brexit“ aus der EU geben. Gleichzeitig wird Deutschland mit Großbritannien an seiner Seite in der Lage sein, endlich die nötigen Reformen durchzusetzen, gegen die sich auch und vor allem Frankreich bisher gesperrt hat. Damit gelänge es, Europa insgesamt demokratischer und handlungsfähiger zu machen. Für alle seine Bürger, ob im Vereinigten Königreich, Frankreich, Deutschland oder sonst irgendwo in der Union.

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Alexander Bock geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

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