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Das Recht auf Vergessen werden

Green Promotion - CC-BY
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tl;dr: Das »Recht auf Vergessen werden« ist wirkungslose Symbolpolitk. Die Gesellschaft müsste stattdessen ein »Recht auf Anonymität« etablieren.

In der Debatte um Datenschutz im Internet liest man immer wieder von der Forderung auf ein »Recht auf Vergessen werden«, zuletzt im Konzeptpapier Digitales Hessen der dortigen grünen Landtagsfraktion. Das Konzept kennt man schon vom Bild des digitalen Radiergummis von Verbraucherschutzministerin Aigner: Wenn jemand Informationen, die über ihn im Netz kursieren, dort nicht mehr sehen will, dann kann er sie einfach löschen lassen.

Nun bin ich ein sehr großer Verfechter des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und ich würde ein solches Konzept sofort mittragen, wäre es nicht vor allem eins: ein Märchen. Das Internet – zumindest in der Form, wie wir es kennen – ist darauf ausgelegt, Informationen zu verbreiten und Versuche, die Verbreitung von Informationen zu stören, zu umgehen. Das trifft nicht nur auf die technische Struktur zu, sondern ganz besonders auf das daraus entstandene Nutzerverhalten. Technische Maßnahmen wie Digitales Rechte-Management, wie wir es von Musikdownloads, eBooks und besagtem »digitalen Radiergummi« kennen, sind nicht nur wenig effektiv, sie werden schlicht und ergreifend nicht genutzt.

Wenn jemand ein Foto ins Netz stellt, auf dem ich abgebildet bin, sind meine Möglichkeiten, das zu unterbinden, äußerst begrenzt. Dieser Kontrollverlust lässt sich schwer verhindern. Die Idee der hessischen Grünen, ein Anrecht darauf zu haben, dass alle Daten gelöscht werden, wenn ich einen Account bei einem Dienst kündige, ist schon deutlich weiter als der »digitale Radiergummi«, aber bleibt dennoch nur ein Symbol. Unternehmen sind international tätig und dürfen viele Informationen aufgrund verschiedener Gesetze gar nicht löschen, des Weiteren sind die Dienste immer enger verzahnt. Ich kann mich schon fast überall mit meinem Facebook- oder Google-Account anmelden und wer weiß schon noch, auf wie vielen Seiten er damit erscheint?

Aber auch ohne ein wirksames »Recht auf vergessen werden« sind wir dem Problem nicht völlig hilflos ausgesetzt. Zum einen ist die Binsenweisheit »Das Internet vergisst nichts!« nicht immer wahr. Wer schon einmal versucht hat, etwas, das er vor fünf Jahren auf einer Webseite gesehen hat, wieder zu finden, weiß, was ich meine. Dennoch muss man im Ernstfall davon ausgehen, dass einmal veröffentlichte Informationen nicht mehr »entöffentlicht« werden können. Ein vernünftiger Ansatz muss daher darauf abzielen, den Menschen die Möglichkeiten zu geben, die Veröffentlichung sensibler Daten von vornherein zu verhindern.

Das beginnt bei einer gesetzlich gebotenen Datensparsamkeit. Es dürfen tatsächlich nur die Daten verlangt werden, die für einen Dienst wirklich benötigt werden. Wenn ein Webshop etwa das Geburtsdatum einer Person verlangt, dann ist das nicht in Ordnung. Soweit bin ich mir auch mit den hessischen Grünen einig. Aber man muss diese Idee weiter ausbauen, zu einem gesetzlich garantierten Recht auf Anonymität. Viele Dienste – von E-Mail-Postfächern bis zu sozialen Netzwerken – benötigen überhaupt keine Informationen über ihre Nutzer.

Und genau hier beginnt das eigentliche Problem: Die Politik bastelt noch immer an Maßnahmen, welche den Fluss von Informationen unterbinden sollen. Wenn man jedoch von vornherein anonym ist, dann sind Daten, die veröffentlicht oder von Unternehmen (legal!) verschachert werden, kein so großes Problem mehr. Der Schritt aus der Anonymität wäre jederzeit möglich, und vor allem könnte man eigenverantwortlich darüber entscheiden.

In der ganzen Diskussion darf aber eines nicht vergessen werden: Völlig egal, welche Regeln wir für Datenschutz im Netz und kommerzielle Webdienste etablieren, sie helfen alle nichts, wenn der Staat seine Datensammelwut nicht einschränkt. Es nützt nichts Facebook das Datensammeln zu verbieten, wenn bei jedem aufgeregten Kommentar sofort der Anschlussinhaber der IP-Adresse ermittelt wird. Auch hier muss es ein Recht auf Anonymität geben, wenn auch natürlich kein absolutes.

Die Debatte zeigt auf jeden Fall, dass wir endlich mit der unwirksamen Symbolpolitik aufhören müssen. Und das heißt: kein »Vergessen«, kein »Radiergummi«, sondern Anonymität!

Symbolbild Green PromotionCC-BY

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Andi Popp geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

4 Kommentare zu “Das Recht auf Vergessen werden

  1. Servus Andi,
    man sollte trotzdem ein Recht darauf haben, dass zb Facebook sämtliche Daten löschen muss wenn ich mir das wünsche. Ebenso sollte ich ein Recht darauf haben, dass meine Daten auf Facebook mit dem deutschen/europäischen Datenschutzgesetz behandelt werden. Soviel Regulierung und Stärkung der Nutzerrechte ist machbar! Man muss es nur politisch einfordern.

    Viele Grüße
    Benedikt
    @bene_111

  2. Guter Vorschlag! Das Bundesverfassungsgericht sieht Anonymität und Pseudonymität als notwendige Angebote im Internet an, um die Meinungsfreiheit zu schützen. Verschiedene Datensammler sehen das natürlich anders. Die Möglichkeiten zur Anonymität und Pseudonymität sollten demnach gesetzlich gestärkt werden. (Derzeit arbeiten da wohl nur Datenschutzbeauftragte dran.)

  3. ein recht auf anoynmität bedeutet doch nicht dass jeder dienst anoynme benutzung anbieten muss. jeder dienst der menschen vernetzen will könnte dann zumachen oder zumindest seinen sinn verlieren, weil vernetzung ja nie anonym, sondern nur pseudonym funktionieren kann. diese typisch deutsche internetfeindlichkeit und ihr regulierungswahn geht mir ziemlich auf den senkel.

  4. „Es nützt nichts Facebook das Datensammeln zu verbieten, wenn bei jedem aufgeregten Kommentar sofort der Anschlussinhaber der IP-Adresse ermittelt wird.“ – So das Textzitat. –
    Sie scheinen also davon auszugehen, dass deutsche Staatsdienste erst im Nachhinein tätig werden: Jemand hat in gutem Glauben an den Rechtsstaat = an seine staatsbürgerlichen Grundrechte etwas objektiv Rechtes, gleichzeitig jedoch „subjektiv Unerwünschtes“ getan, und nun wird seine Identität ermittelt. Im ersten Schritt zunächst über die Rückverfolgung der IP-Adresse seines PC. —
    Nach meinen persönlichen Erfahrungen ist bereits das jedoch Wunschdenken. Wer, wiederum nach rein subjektiven Kriterien, realen „Macht-Inhabern“ = „Verfügungsberechtigten“ über die Möglichkeiten besagter Staatsdienste bereits aufgrund seiner (physischen) Existenz als (auf dieser Welt) unerwünschte Person gilt, wird bisweilen schon im Vorhinein daran gehindert, seine Meinung überhaupt zum Ausdruck zu bringen. D.H. sich gegenüber einem unerwünscht grossen Publikum zu äussern. Und seine Standpunkte oder, übler wäre das noch, seine Erlebnisse und Erfahrungen einer Leserschaft mitzuteilen, von der man nicht wissen kann, ob sie nicht gelegentlich auch – rein interessehalber – aus ausländischen Homepage-Besuchern besteht. (Denn gerade im Ausland wünscht man sich das Bild des sauberen Rechtsstaats Deutschland – die Historie erklärt das.)
    Ihre Vorstellung, dass fehlende Anonymität und daraus resultierende potentielle Bedrohung sich über die Retrospektive auswirken könnten, ist aus meiner Sicht nicht sachgemäß. Es wird, wenn es denn geschieht, weniger „vergeltend“ denn prospektiv = verhindernd agiert! Und damit beziehe ich mich durchaus auch auf die Bundes-Homepage der Piratenpartei, wo persönliche Kommentare einzelner, von einflußreicher Hand stigmatisierter Leser nimmermehr Forum und Veröffentlichung erreichen!

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