Es ist etwa eine Woche her, da hat der bayerische Innenminister Joachim Herrman quasi den Wahlkampf auf der Verkehrsebene eingeläutet, es gibt dazu eine Mitteilung des Innenministeriums – der oberste Baubehörde Bayerns!
Was eine Pressekonferenz und die Oberste Baubehörde mit Herrmans Fachgebiet, der Innenpolitik zu tun hat, ist und bleibt sowieso rätsel- und schleierhaft. Aber sowas ist ja im Wahlkampf egal, hauptsache man kann mal wieder was mit Medien und Presse machen und den Wählern, insbesondere den Autofahrern viel Honig um den Mund schmieren. Klar, dass die CSU sowas nicht dem eigentlich zuständigen Minister für
Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, Martin Zeil (FDP), überlässt.
Nur, was hat die Staatsregierung mit dem Bundesverkehrswegeplan zu tun? Der Bundesverkehrswegeplan ist so etwas wie eine vom Bundestag und dessen Ausschüssen bestimmte Rangliste aus den Wunschzetteln der jeweiligen Landesregierungen. Der Bundesverkehrswegeplan wird regelmäßig erneuert und deswegen sollen auch jetzt wieder neue Wunschzettel geschrieben und nach Berlin eingesandt werden. Und einen solche Wunschliste hat die CSU, also die Staatsregierung – oder wie Herrman sagte – „das Land Bayern“ nun eingereicht.
Wenn man sich die Liste Liste und die zugehörige Karte genauer anschaut, dann stellt man fest, dass fast jedes Projekt, auch die aus dem „Nachrangigen Bedarf“ – also der bisher niedrigsten Stufe – des Bundesverkehrswegeplans 2003 wieder aufgegriffen wurde und neu bzw. unverändert alt auf dem Wunschzettel steht.
Man kann jetzt mehrere Thesen aufstellen, warum die Staatsregierung diese Vorauswahl trifft:
1. Phantasielosigkeit, die
Die CSU ist nach Pi mal Daumen 60 Jahren an der Regierung an die Grenze ihrer gestalterischen Kreativität angekommen. Wohin es mit Bayern weitergeht? Keine Ahnung! Die volkswirtschaftlichen Wohlfahrtseffekte im Straßenbau sind weitestgehend aufgelöst. Neue Schnell- und Fernstraßen können – gemessen an 50er und 60er Jahren – nur noch kleine Wohlfahrtseffekte auslösen. Zum Beispiel kleine und räumlich begrenzte Stauprobleme lösen. Jedoch fehlen große Erschließungs- und Anbindungsfunktionen, wenn die letzten Lücken im Autobahnnetz geschlossen sind. Also nimmt man alles an Projekten mit rein, was schon mal irgendwo halbwegs untersucht und ein bisschen geplant war. Ist ja besser wie nichts.
2. Glaube an das fliegende Spaghettimonster, der
Naja, vielleicht glaubt Herrmann und seine Staatsregierung auch an irgendwas Irrationales. Irgendetwas was sich wissenschaftlich inzwischen vielleicht sogar widerlegen lässt, das aber politisch nicht widerlegt werden darf damit eingefahrene Weltbilder nicht zusammenbrechen. Egal woher dieser irrationale Glaube kommt, es ist keineswegs so, dass neue Straßen zwangsläufig positive Effekte für die Bewohner der dann erschlossenen Regionen hat. Man nehme einfach mal an, es würde sich zeitlich nicht lohnen zum Einkaufen in die nächstgrößere Stadt zu fahren, weil es weniger ausgebaute Schnellstraßen gäbe. Dann wäre der Einzelhandel auch noch in kleineren Dörfern und Gemeinden vorhanden. Dorfläden, Dorfbäcker, Dorfmetzger und dergleichen an Grundversorgern sind neben einem Wirtshaus vermutlich der wesentliche Bauteile eines intakten Dorfkerns. Aber wenn der Konsument schon ins Auto steigt, dann kauft er in der Regel beim Aldi im Gewerbegebiet an der Ortsumgehung und weit weg von einer Siedlungsbebauung.
Will uns nicht die CSU das Bild vom (noch) intakten Dorfleben in Bayern vorgaukeln – zum Beispiel mit Bierzelten und „Bufftata“? Aber diese Zurschaustellung von Trachten und Alkoholkonsum macht kein intaktes Dorfleben aus! In einem intaktem Dorf stehen nicht so viele Geschäftsflächen leer. Der irrationale Glaube an Straßenbau als Allheilmittel für den ländlichen Raum zerstört also massiv kleine Dörfer.
3. Wahlkampfgeschenk, das
Angesichts der bevorstehenden Wahlen, Landtags- & Bezirkstags-, Bundestags-, Europa-, und Kommunalwahlen möchte die CSU möglichst breite Wählerschichten ansprechen. Die Zielgruppe dieser Kampagne sind die Autofahrer – von denen es bekanntlich viele gibt und weil es die überall in Bayern gibt, wird das Gießkannenprinziep angewendet: Jeder Landkreis bekommt ein oder zwei Versprechen. Verkehrstechnisch sinnvoll? Zweitrangig – 2013 ist schließlich Wahlkampf! Also jetzt muss noch etwas Aktionismus her – die ganzen nichtrealisierten Projekte aus dem alten Bundesverkehrswegeplan 2003 sollen dem Wähler weiterhin, also post-2015, in Aussicht gestellt werden. So hält man sich den Wähler bei der Stange und kann wunderbar eigenes Versagen bei der Umsetzung verdecken.
4. zweite Blick, der
Doch leider entpuppt sich der zweite Blick nicht nur als fadenscheinig, sondern auch als schädlich für Bayern.
Einerseits verzichtet man mit diesem Gießkannenprinzip auf eine Fokussierung auf die wirklich wichtigen Ausbauprojekte, zum Leid der Verkehrsteilnehmer, die täglich echte Engpässen überwinden müssen. Beispiele sind die Isentalautobahn A94 oder ein Ausbau der A6. Das Verhalten der jetzigen Staatsregierung kann hier zu einem üblem Bumerang werden, da nicht vorhersehbar ist, wie letztendlich die Priorisierung der einzelnen Projekte sein wird. Ein Schreckensszenario für Bayern wäre, wenn aufgrund der Flut an Projekten alle in den „mittelfristigen Bedarf“ oder den „nachrangigen Bedarf“ eingestuft würden. Der Ausbau der Infrastrukturengpässe würde so um mindestens eine Legislaturperiode oder länger verzögert. Der Schaden für den Wirtschaftsstandort Bayern wäre unermesslich. Ist das im Sinne einer Staatsregierung, den tatsächlich notwendigen Straßen- und Verkehrswegebau in Bayern zu gefährden?
Anscheinend schon, denn der offizielle Zeitplan des neuen Bundesverkehrswegeplans zeigt was das wahre Ziel der Staatsregierung mit dem „Bundesproxy Ramsauer“ ist: Machterhalt!
Man kann also mit einer Gießkanne Vielen viel Hoffnungen machen, es wird bei den wichtigen Landtags- und Bundestagswahlen 2013 vermutlich helfen, denn „der Wähler will ja belogen werden“ [Oswald Metzger]. Und man befindet sich immer noch mit der ganzen Wunschliste in der Bewertungsphase, wenn 2014 die Europa- und Komunalwahlen kommen. Und auch hier wird man noch auf die Monsterwunschliste verweisen und versuchen sich als gute, also fähige und tatkräftige Verkehrspolitiker zu verkaufen.
Und danach, in der Beschlussphase, wird man erst kleinlaut und ohne Pressekonferenz einräumen müssen, dass es leider nicht so ganz funktioniert hat oder gleich ganz dazu schweigen. Vielleicht muss dann ja auch die nachfolgende Regierung die Suppe auslöffeln, dass nicht alles in den Bundesverkehrswegeplan gepasst hat. Eigentlich clever gemacht – nur dass genau dieses Taktieren um sehr wichtige politische Zielsetzungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte die Zahl der Nichtwähler unablässig in die Höhe treiben wird.
Zusammenfassend kann man also sagen: Eine Staatsregierung, die für ihren Machterhalt den zukünftigen Ausbau von Verkehrswegen in Bayern mit einem unrealistischem Wunschzettel gegen die Wand fährt und dabei intakte Dorfstrukturen in den fahrlässig verursachten Unfall verwickelt, muss dringend ein paar Schlaglochausbesserungsarbeiten auf der Oppositionsbank über sich ergehen lassen. So wie jede vielbefahrene Staatsstraße irgendwann eine Renovierung braucht. Um das Wortbild mit einem Funfact abzurunden: Mit der Instandhaltung der Staatsstraßen hatte es die Staatsregierung auch noch nie.
PS: An alle Politiker, die sich für eine aufrichtige Verkehrspolitik ohne derlei selbstentlarvende politische Taktikspielchen einsetzen wollen, sei hiermit eine Einladung zum Dialog und informativen Austausch ausgesprochen.
Foto: lens-flare.de – CC-BY-NC
Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Andreas Witte geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.
Danke für diesen sehr informativen und pointiert geschriebenen Artikel. Leider hat kaum ein Bürger jemals von dem Bundesverkehrswegeplan und dem Beschlussverfahren für Verkehrsprojekte gehört und deshalb ist es auch sehr einfach für die CSU-Populisten, die Bürger so schamlos an der Nase herumzuführen. Die Presse kommt ihrer Aufgabe, solche Ver*rschung aufzudecken, ja leider auch nicht nach.