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Warum fahrscheinfreier ÖPNV weniger kostet

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag unseres Beisitzers Arko Kröger.

Die Bundesregierung hat mit dem 9-Euro-Ticket und dem demnächst kommenden 49-Euro-Ticket eine Debatte über die Frage ausgelöst, ob wir uns überhaupt einen so günstigen Nahverkehr leisten können. Doch tatsächlich ist ein kostenloser ÖPNV sogar billiger als einer, welcher Tickets nimmt. Warum? Dazu müssen wir uns den Unterschied zwischen Privaten und Klubgütern anschauen.

Die 4 Güter

In der Makroökonomie kann man die verschiedenen Güter in unterschiedliche Kategorien einteilen, je nachdem, für welchen Zweck man welche Einteilung braucht. Für unseren Zweck werden wir uns die Differenzierung durch Rivalität und Ausschließbarkeit anschauen.

Rivalität:

Rivalität in der Wirtschaft bedeutet, dass der Konsum eines Gutes durch einen Konsumenten den Konsum desselben Gutes durch einen anderen Konsumenten beeinträchtigen kann. Dies trifft auf rivale Güter zu, im Gegensatz zu nicht-rivalen Gütern wie Fernsehen oder Atmen. Es gibt jedoch Situationen, in denen auch nicht-rivale Güter rival sein können, wie beim Fußballschauen in einer überfüllten Kneipe oder beim Atmen in einem stecken gebliebenen Fahrstuhl. Ein Brot kann nicht von mehreren Personen gleichzeitig in vollem Umfang konsumiert werden und ist daher ein rivales Gut. Es gibt jedoch auch Grauzonen, wie z.B. die Autobahnbenutzung, die zunächst nicht rival ist, aber bei zunehmendem Verkehr rival werden kann.

Ausschließbarkeit:

In der Wirtschaft unterscheidet man zwischen Gütern, bei denen Ausschluss möglich ist, und Gütern, bei denen kein Ausschluss möglich ist. Die meisten Alltagsgüter können von Personen ausgeschlossen werden, aber das ist bei Luft nicht möglich. Andere Beispiele für Güter, bei denen kein Ausschluss möglich ist, sind Landesverteidigung und Deiche, da sie alle Personen schützen. Allerdings gibt es einen Trend zur Ausschließbarkeit, da technologische Fortschritte es ermöglichen, einzelne Personen auszuschließen, z.B. durch Pay-TV und Maut. Mit anderen Worten: Ausschließbarkeit hängt vom Aufwand ab – durch höhere Kosten könnte man einen Deich z.B. um ein bestimmtes Haus herum bauen und es vom Schutz ausschließen.

Aus diesen beiden Kriterien kann man nun eine kleine Tabelle erstellen, mit der sich Güter in 4 verschiedene Kategorien einteilen lassen:

Keine Rivalität Rivalität
Keine Ausschließbarkeit öffentliches Gut Allmendegut
Ausschließbarkeit Klubgut Privates Gut

Private Güter sind die Art von Gütern, an die wir meistens denken, wenn wir uns einen Markt vorstellen. Ich könnte hier Ewigkeiten Beispiele aufzählen, aber um mich kurzzufassen: Kleidung oder Lebensmittel, zum Beispiel. Quasi alles, was du in einem Laden kaufen kannst.

Öffentliche Güter sind das Gegenstück zu privaten Gütern. Es sind Güter, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann, aber auch niemand um diesen Konsum konkurriert. Das können z.B. der ÖRR oder öffentliche Gebäude sein. Solche Güter werden i.d.R. vom Staat bereitgestellt.

Allmendegüter sind Güter, bei denen Rivalität im Konsum besteht, aber keine Ausschließbarkeit. Diese Güter haben eine Tragik, denn auch, wenn das Gut durch den Konsum irgendwann uns allen ausgehen wird, sind wir nicht in der Lage, den Konsum dieses Gutes einzuschränken, um genau das zu verhindern. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere Atmosphäre, welche wir aktuell als Müllhalde für unsere CO2-Emissionen missbrauchen. Sicher, wir können unsere Emissionen reduzieren, aber es ist sehr schwer, andere daran zu hindern, auch wenn es eigentlich notwendig wäre.

Klubgüter sind, ähnlich wie das öffentliche Gut zum privaten Gut, das Gegenstück zum Allmendegut. Das sind Güter, bei denen keine Rivalität besteht, sehr wohl aber die Möglichkeit der Ausschließbarkeit. Ein gutes Beispiel dafür ist Pay-TV oder die verschiedenen Streamingservices wie Netflix: Du kannst andere vom Konsum ausschließen, aber die restlichen Konsumenten haben davon nicht per se mehr.

Wie oben anhand von Rivalität und Ausschließbarkeit erklärt, kann ein Gut zwischen diesen Zuständen auch wechseln, abhängig von den konkreten Bedingungen. So ist Ausschließbarkeit vor allem eine Frage davon, wie aufwändig es ist, jemanden vom Konsum auszuschließen, und den mit diesem Aufwand verbundenen Kosten (bei CO2-Emissionen wären diese Kosten die Kontrollierung der Emittenten, ob diese auch legal CO2 ausstoßen), während Rivalität vor allem eine Frage der konkreten Menge des Gutes sowie der Nachfrage nach diesem Gut ist (so ist eine relativ leere Straße ein öffentliches Gut, welches zum Allmendegut wird, sobald ein Stau besteht).

Der ÖPNV als Gut

Nach dem Haufen an Erklärungen zum Thema Rivalität und Ausschließbarkeit könnt ihr euch wahrscheinlich so ungefähr denken, worauf ich hinaus will. Der Witz ist, dass der ÖPNV im Grunde genommen eigentlich die Kriterien für all diese Gütertypen erfüllt, abhängig von den Umständen, unter denen der ÖPNV operiert. So ist die Frage, ob die Menschen beim Konsum des ÖPNV untereinander konkurrieren, vor allem davon abhängig, wie hoch die Auslastung des ÖPNV im Moment der Fahrt ist. So besteht z.B. keine Rivalität, wenn es sich um schlecht ausgelasteten ÖPNV auf dem Land handelt, während in den Hochzeiten des 9-Euro-Tickets teils Überlastungen bei der Bahn zu sehen waren, welches diese in einen Allmendegut-artigen Zustand versetzt hat. Die Ausschließbarkeit wiederum ist nur sehr bedingt gegeben, aber durchaus möglich, wenn auch nicht zwangsläufig sinnvoll: Man kann die Menschen nicht davon abhalten, in einen Bus oder einen Zug einzusteigen, aber man kann deren Tickets kontrollieren und somit ein Ausnutzen sanktionieren. Die Frage ist aber, ob das so im Allgemeinen überhaupt sinnvoll ist. Generell würde ich sagen, dass es nur dann Sinn ergibt, die Ausschließbarkeit eines Gutes durchzusetzen, wenn um deren Konsum auch tatsächlich rivalisiert wird (bei Klubgütern ist das unter Umständen noch mal anders). Das Ding mit dem ÖPNV ist, dass der allergrößte Teil der Kosten nur durch den Kauf und Betrieb der Fahrzeuge entsteht, nicht durch das Mitnehmen von Konsumenten. Man kann das insofern mit Netflix vergleichen, als dass die meisten Kosten von Netflix durch das Produzieren der dort angebotenen Serien und Filme verursacht werden, nicht durch das Ausspielen dieser an die Abonnenten. Das ist auch, was gemeint ist, wenn ich sage, dass kostenloser ÖPNV nicht per se „mehr“ kostet, denn die Kosten sind letzten Endes immer reale Ressourcen, wie Öl oder Metall und Arbeitskraft. Natürlich kostet es “den Staat” mehr im Sinne von Geld, dass er die Tickets dann subventionieren muss, wenn er es kostenlos zur Verfügung stellt, doch tut er dies nicht, werden dieselben Betriebskosten nur von den Konsumenten bezahlt. Ein ÖPNV, der sich nur durch seine Tickets finanziert, ist also nur “ein Weg” von vielen, wie man das System organisiert. Dies ist übrigens auch der Grund, warum sich Ausbau und Vergünstigung des ÖPNV nicht gegenseitig ausschließen, da die Ressourcenkosten sich nicht verändern, wenn man die Finanzierungsstruktur verändert. Erst die Investition in den ÖPNV erhöht die Betriebskosten. Tatsächlich würde ich sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass erst dann in den ÖPNV investiert wird, wenn klar ist, dass er auch benutzt wird. Eine Vergünstigung erhöht diese Wahrscheinlichkeit. Kostenloser ÖPNV und Investitionen in Kapazitäten schließen sich also nicht aus, sondern bedingen einander. Jetzt ist es aber so, dass diese Verlagerung der Kosten vom Konsumenten zum Staat zu einer deutlich erhöhten Auslastung des ÖPNV führt, ohne, dass diese Auslastung irgendwen etwas kostet, sofern die Strecke nicht durch Überlastung an seine Grenzen gerät (also, sofern keine Rivalität gegeben ist).

Bedeutung in der Praxis

Jetzt fragt ihr euch vielleicht “Was genau bringt mir das denn jetzt? Inwiefern profitiere ich, ein regelmäßiger Autofahrer, von einem kostenlosen ÖPNV?” Gute Frage. Die Antwort liegt in einem weiteren Konzept, welches ich hier kurz erklären werde: Opportunitätskosten.

Opportunitätskosten sind nicht direkt Kosten in dem Sinne, sondern ein entgangener Gewinn, der durch das Entscheiden für eine Alternative im Vergleich zu anderen entsteht. In unserem Falle sind diese Kosten der verlorene Nutzen einer Fahrt durch das Ausschließen von Menschen, die die Kosten des Tickets nicht tragen können oder wollen. Ein Mensch, der auf diese Weise eine Fahrt nicht antreten kann oder will, wird dadurch entweder nicht in der Lage sein, seinen Zielort zu erreichen, was weitere Kosten mit sich bringt, oder er steigt auf eine Alternative um, die für ihn selber vielleicht günstiger ist, aber gesamtwirtschaftlich mehr kostet. Nehmen wir an, wir haben einen Bus, in dem 25 Leute Platz haben. Bei voller Auslastung ist dieser Bus dementsprechend in der Lage, 25 Menschen zu transportieren. Führt man nun Kosten für das Betreten dieses Busses ein (also Ticketkosten), dann ist dies erstmal nur eine reine Kostenverlagerung vom Staat zum Konsumenten. Führt diese Kostensteigerung zu einer Abnahme an Fahrgästen (sagen wir, 5 Gäste weniger, also nur noch 20 Menschen), dann sinkt die Auslastung des Busses und damit seine Effizienz pro transportiertem Fahrgast. Diese Fahrgäste können jetzt entweder zu Hause bleiben (was gerade bei einer Fahrt zur Arbeit natürlich keine Option ist, da zu hohe Opportunitätskosten), oder sie könnten die Fahrt durch ein anderes Fortbewegungsmittel ersetzen (Substitution). Nimmt man dafür aber z.B. ein Auto, dann hat dieses Auto seinen ganz eigenen Spritverbrauch, obwohl das vielleicht gar nicht notwendig gewesen wäre, wenn er mit dem ÖPNV gefahren wäre. Dadurch leisten wir uns eine Doppelstruktur von Auto und ÖPNV, die unterm Strich mehr Ressourcen verbraucht als vorher, ohne einen realen Gewinn davon zu erfahren. Jetzt gibt es natürlich Situationen, in denen das Auto natürlich besser ist als der ÖPNV, doch was das Ganze nur zeigen sollte, ist, dass ein rein marktbasierter ÖPNV nicht zwingend zu einem optimalen Ergebnis führt, weil es beim ÖPNV gerade die hohe Auslastung ist, die ihn unterm Strich erst effizient macht. Wir haben es also mit einem gut zu tun, bei dem die Ausschließbarkeit unter Umständen nicht nur sinnlos ist, sondern es sogar das beste für alle ist, wenn wir niemanden ausschließen, weil es ja keine Rivalität um dieses Gut gibt, welches diesen Ausschluss überhaupt erst legitimieren würde, während diese Ausschließung gleichzeitig zu Opportunitätskosten in Form von weiteren Autos führt, die ohne den Ausschluss vielleicht gar nicht erst hätten gebaut werden müssen.

Und falls ihr trotz alledem denkt, dass ein kostenloser ÖPNV nur viel zu sehr beansprucht werden würde, bedenkt, dass Mobilität kein Gut ist, welches man um seiner Selbst Willen konsumiert, sondern immer nur, um andere Sachen machen zu können. Man kann es als eine Art notwendiges Übel verstehen: Eigentlich will man nicht stundenlang durch die Gegend tuckern, aber ansonsten kommst du ja nicht zu deiner Arbeit. Es ist also nicht so, als müsste man einen kostenlosen ÖPNV plötzlich auf absurde Dimensionen ausbauen, nur weil er kostenlos ist. Natürlich wird er intensiver genutzt, doch diese Fahrten haben einen Zweck: Sie ermöglichen das Treffen von Freunden, ein paar Ausflüge, vielleicht auch mal woanders einkaufen, und sie ermöglichen auch politische Teilhabe: Die Demos von #IchBinArmutsbetroffen wurden u. a. auch durch dieses Ticket ermöglicht, einfach, weil es ihnen erst ermöglicht hat, sich die Fahrt zu leisten.

Jetzt ist es trotzdem natürlich so, dass ein kostenloser ÖPNV mit gewissen Mehrkosten für die Regierung einhergeht, weshalb man nun abwägen muss, ob es uns das insgesamt wert ist oder nicht. Da Mobilität eine entscheidende Grundlage für nahezu alle Aktivitäten von Arbeit bis hin zur Freizeit ist, würde ich sagen, dass wir Mobilität zumindest im kleineren Rahmen für alle garantieren sollten. Die eventuelle Mehrbelastung durch die benötigten Kapazitäten auf intensiver genutzten Strecken würde wahrscheinlich durch die intensivere Nutzung auf dem Land ausgeglichen werden, wodurch sich unterm Strich mehr Wohlstand für uns alle ergibt.

 

Ich bin Pirat seit 2019 und aktuell studiere ich. Neben meinem Engagement in der Redaktion der Flaschenpost bin ich auch jeweils stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbands Nürnberger Land & Roth sowie des Bezirksverbands Mittelfranken. Zur Bezirkstagswahl 2023 bin ich Direktkandidat für den Wahlkreis Nürnberger Land.

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