Die USA haben sich für Netzneutralität entschieden. Deutschland und insbesondere die EU tun sich mehr als schwer damit. Der für Internet-Anlegenheiten zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger nannte die Bemühungen von Netzaktivisten wie beispielsweise der Piratenpartei für Netzneutralität „taliban-artig“. Und bringt dabei wieder in konservativen Kreisen zur argumentativen Befeuerung von Unsinnigkeiten so gern verwendete Beispiele mit Kindern, deren Leib und Leben durch Netzneutralität in größter Gefahr wäre. Details zu den Äusserungen kann man nachlesen.
Auch Frau Merkel hat jüngst der Netzneutralität das Existenzrecht abgesprochen. Dieser häufig vernachlässigten Teil der Netzpolitik ist allerdings ein essentieller Teil eines Netzes, dass Partizipation erst ermöglicht. Aber vielleicht ist die Schaffung postdemokratischer Zustände und die Abschaffung von Partizipationsmöglichkeiten ja das eigentliche Ziel. Jenseits vollmundiger Sonntagsreden vom “Dialog mit dem Bürger”.
Netzneutralität. Dieser eher sperrige Begriff beschreibt, dass Daten unabhängig von Art und Inhalt durchgeleitet werden. Das Netz ist also quasi die Schweiz gegenüber den transportierten Inhalten. Nun möchten Internetzugangsanbieter zum Zwecke des Geldverdienens diese Neutralität aufheben.
Geld verdienen wollen ist ja nun per se nichts Schlechtes. Wenn jedoch der Wunsch einiger nach mehr Profit aufgrund gezielter Lobbyarbeit einerseits und mangelnden Verständnisses der innovativen Kraft eines freien Internets zu gesetzlichen Regelungen führt, haben wir ein Problem. Diese Regelungen führen Einschränkung und künstliche Verknappung ein, wo sich zuvor Angebot und Nachfrage weitestgehend selbst geregelt haben. Was genau hat das mit freier Wirtschaft zu tun? Wir sprechen angesichts solcher Entwicklungen nicht von einem Europa der Menschen, sondern von einem Europa der weltweit agierenden Konzerne, die hier über Lobbyarbeit im Hinterzimmer politische Entwicklungen in ihrem Sinne beeinflussen. Und Netzneutralität ist schädlich für die Lizenz zum Gelddrucken.
Dabei ist die genannte technische Gleichgültigkeit ist eine Errungenschaft, weil sie Zugang zu weltweiten Kommunikationsmitteln in dramatischer Weise demokratisiert hat. Viele Ideen und auch Geschäftsmodelle wurden nur so erst möglich. Sie garantiert Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit und schafft Raum für gesellschaftliches Engagement. Nun müssen wir diesen Raum zur lokalen und globalen Vernetzung wieder verteidigen. Vor einigen Monaten hat beispielsweise die Telekom angekündigt, die schon im mobilen Datenverkehr ebenso übliche wie nervige Bremse einzuschalten, wenn das gekaufte schnelle Volumen verbraucht ist. Das erscheint auf den den ersten Blick zulässig. ABER Gibt es technische Gründe Bandbreite einzusparen? Bei verkabelten Anschlüssen, wie DSL zu Hause: Nein. Im Backbone gibt es auch keine Probleme. An den Datenaustauschpunkten der großen Provider auch nicht. In Großstädten werden verstärkt Glasfaseranschlüsse ausgerollt und verkauft, also auch nein. Im Mobilfunk stellt sich diese Situation unter anderem aufgrund begrenzter Frequenzen anders dar. Deswegen gelten die genannten Einschränkungen nicht für Dienste, die entweder vom Provider selbst oder seinen Partnerfirmen angeboten werden. Die Bandbreite ist ja vorhanden. Und genau in diesen Partnerangeboten liegt die Krux und die Innovationsfeindlichkeit von gedrosselten oder gesperrten Internetzugängen. Denn hier sichern langfristig marktdominierende Unternehmen ihre Marktdominanz. Für sich selbst und ihre Partnerfirmen, weil die User von anderen Angeboten gezielt ferngehalten werden. Es geht hier nicht um Kinder und Krankenhäuser und fehlende Bandbreite. Es geht um die Neuaufteilung des Kuchens zugunsten von internationalen Konzernen.
Das hat zur Folge: Der Zugang zu eigentlich freien Inhalten oder denen alternativer Anbieter wird eingeschränkt oder gar nur gegen Zahlung erlaubt. Für Anbieter dieser freien Inhalte und für die Nutzer wird es auf diese Weise teurer. Stellen sie sich vor, Sie müssten bei ihrem Internetzugang ein “Musikpaket” dazukaufen, als Zusatzvolumen oder Zugriffserlaubnis. Und wozu? Um legale Musikangebote im Internet anhören zu können. Dabei sind es weniger die steigenden Kosten, die uns schwer im Magen liegen. Es ist die Entdemokratisierung des Internets, die eine direkte Folge exklusiver statt inklusiver Zugangsmodelle ist. Und es ist die Gefahr vom Zugangssperren, die den Zugriff auf Inhalte verhindern, deren Anbieter sich den Partnerstatus der Zugangsprovider nicht erkaufen können.
Ohne Netzneutralität hat das Internet bald den drögen Charme deutscher Fußgängerzonen mit ihrer Monotonie der Handelsketten. Kleine originelle Geschäfte verschwinden und tauchen auch nicht wieder auf. Non-Profit-Angebote haben es da extrem schwer. Oder Bürgerinitiativen. Oder Selbsthilfegruppen. Oder kleine Parteien. Aber wahrscheinlich ist dies genau so gewollt. Aber diese Einschränkungen sind auch innovationsfeindlich. Im Internet ist heute der Vertrieb einer innovativen Idee oder Produkts sehr einfach, Man bekommt sein Produkt ohne Zwischenhändler direkt zum Konsumenten Dies gilt nicht nur für Produkte zum Anfassen, sondern auch für Ideen, Musik und schriftstellerische oder journalistische Ambitionen. Parteien, Bürgerinitiativen und Hilfsorganisationen können über das Netz Interessierte informieren und sich selbst organisieren. Jeder kann Inhalte anbieten. Und nur die Konsumenten sollten entscheiden, ob sie diese Inhalte konsumieren möchten oder nicht.
Denken wir an früher: Da bekam man in der Musikbranche nur eine Chance, wenn man den Plattenboss überzeugte. Heute kann man seine Musik selbst vermarkten und die Hörer allein entscheiden. Ich habe meine Teenagerzeit in den 80er Jahren in einer Kleinstadt verbracht, wo es einen recht gut sortierten Plattenladen gab. Aber eben auch nur den. Das, was es da nicht gab oder nicht im Radio lief, kannte ich nicht. Anderes Beispiel: Erinnert sich noch jemand an die Public Domain Software oder Shareware, die es in kleinen Sortimenten den 90er Jahren in Supermärkten zu kaufen gab, bevor Softwaredownloads im Internet möglich waren. Mal ehrlich, wünscht sich jemand diese Zeiten ernsthaft zurück? Dank dem Internet hat auch Randgruppenmusik die Chance und die Musiklandschaft ist vielfältiger. Wenn die Netzbetreiber die Seite einer Band nur gegen Gebühr mit der für Musikstreaming notwendigen Geschwindigkeit durchleiten, gibt es neue Hürden. Die großen Plattenfirmen können Verträge mit den Netzbetreiber abschließen, damit ihre Angebote ohne Tempolimit erreichbar sind. Und einige wenige entscheiden wieder über das, was den Musikfans gefallen soll. Allein das als „ausreichend“ zugestandene Inklusivvolumen macht die Willkür deutlich, mit der hier Güter künstlich verknappt werden.
Die Folge: Musikschaffende müssen sich wieder bei den Plattenbossen beliebt machen, um eine Chance zu bekommen. Wenn die alten Zugangsschranken zu Märken nicht mehr existieren, denkt man sich einfach neue aus – in Form künstlicher Zugangserschwernisse. Soll so Wirtschaftsförderung aussehen? Oder soll hier nur die bekannten internationalen Konzerne wieder gepampert werden? Die Piratenpartei fordert eine gesetzliche Festschreibung des neutralen Charakters der Datendurchleitung im Internet ein um Informations-, Presse- und Meinungsfreiheit zu sichern und die Innovationsfähigkeit des Netzes zu erhalten. Die Forderung nach „Managed Services“ und Premiumangeboten, um diese als gesetzlicher Quasi-Standard einzuführen, gefährden diese Innovationskraft.
Am Ende ist aus dem dem Netz dann ein reines Einkaufsnetz geworden. Ausschließlich bestimmt um den Nutzen internationaler Konzerne zu mehren. Das wollen wir nicht.
Die Piratenpartei lehnt es ab, die Übertragung von Daten durch die Einführung von Güteklassen, Angebotseinschränkungen oder Zugangserschwernissen zu beschneiden. Das Internet muss ein Ort der Innovation und Gleichberechtigung bleiben, hier muss der Gesetzgeber ein klares Bekenntnis zur Neutralität des Netzes abgeben.
Ist eine Absprache der Provider zwecks Preiserhöhung – Nichts anderes ist es, wenn der Konsument für die gewohnte Leistung dann mehr zahlen soll. – kartellrechtlich relevat?