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In Bayern regiert der Sicherheitswahn

Foto von Stacheldraht (Allie_Caulfield - CC-BY)
Foto von Stacheldraht (Allie_Caulfield - CC-BY-2.0)

Am vergangenen Donnerstag wurde nach zweiter Lesung dem Gesetzentwurf der Staatsregierung über den Vollzug der Sicherungsverwahrung im Landtag mehrheitlich zugestimmt. Grund für die Verpflichtung, ein neues umfangreiches Gesamtkonzept zur Sicherungserwahrung zu entwickeln, ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326). Dieses Urteil erklärte die bisherigen Vorschriften des Strafgesetzbuchs über die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig. Den Anstoß zu diesem Urteil gab wiederum das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht (EGMR) vom 17. September 2009, das die deutschen Regelungen nach der EMRK für konventions- und damit völkerrechtswidrig erklärt und heftig kritisiert hatte.

Sinn und Zweck der Sicherungsverwahrung

Die Sicherungsverwahrung ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung, die dem Schutz der Allgemeinheit vor einer potentiellen, erheblichen Gefährlichkeit von Sexual- und Gewaltstraftätern dient. Der Anlass für die Anordnung ist zwar eine begangene Straftat, dieser Umstand darf aber in keinster Weise zu einer Verwechslung oder Gleichsetzung von Haftstrafe und Sicherungsverwahrung führen. Sie sind laut Abstandsgebot (oder auch Trennungsgebot) unabhängig voneinander zu behandeln. Die Sicherungsverwahrung erfolgt ausschließlich aus präventiven Gründen und wird nur an die potentielle Gefährlichkeit einer Person geknüpft, also an eine manchmal fragwürdige Prognose eines Gutachters über das zukünftige Verhalten des Täters.

Macht man sich also bewusst, dass es hier nicht mehr um Sühne, Strafe und das Schuldprinzip geht, stellt man sich bald die folgende schwierige Frage: Wie wägt man am besten die Freiheitsrechte und Menschenwürde des potentiell Gefährlichen, der seine Strafe bereits abgebüßt hat, gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung der zu schützenden Allgemeinheit sinnvoll gegeneinander ab?

Gerügte Punkte

Genau diese schwierige Abwägung wurde also in Deutschland 2011 offiziell als ungenügend bewertet. Die Länder wurden bis Ende Mai 2013 dazu verpflichtet, ein möglichst lückenloses Konzept zu schaffen mit einer Vollzugspraxis, die auf die Wiedererlangung der Freiheit ausgerichtet ist. Dieser freiheitsorientierte und therapiegerichtete Vollzug soll im Vordergrund stehen, welcher den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen ist.

Umsetzung und Argumentation

Das alles klingt sehr vernünftig und würde Grund zur Hoffnung geben, dass Sicherungsverwahrte in Zukunft deutlich besser oder zumindest anders behandelt werden als Häftlinge, deren Besserung mir in bayerischen JVAs manchmal mehr als abwegig erscheint, wegen fehlender psychologischer Betreuung und aus vielen anderen Gründen. Als ich mir die zweite Lesung im Landtag anhörte, stellte sich allerdings schnell Ernüchterung und Enttäuschung ein.

Dr. Franz Rieger von der CSU hatte als erster das Wort. Irgendwie kam er mir vor wie ein Schüler, der ein Referat hält und dabei das Thema verfehlt.. Er fing damit an, die Aufgabenstellung des BVerfG zu erläutern, dem Abstandsgebot ordentlich Rechnung zu tragen, um die Sicherungsverwahrung deutlich von der Haft abzugrenzen und in Zukunft einen freiheitsorientierten, therapiegerichteten Vollzug zu gewährleisten. Dann aber verdeutlichte er entschieden, dass CSU und FDP mit ihrer Gesetzesvorlage bewusst sehr viel strenger mit den Rechten der Sicherungsverwahrten umgehen wollen als die Opposition das vorhatte und wie es alle anderen Länder bei ihrer Umsetzung bereits vorgemacht haben. Dieser trotzigen „weil wir es können“-Haltung folgte dann die seltsam blasse Begründung „denn wir sehen uns in der Pflicht, alles zu tun, um unsere Bevölkerung vor potenziellen Schwerstkriminellen zu schützen!“. Ziel der Änderung sollte aber doch gerade die Stärkung der Rechte der Sicherungsverwahrten sein! Naja, als er zum Ende kam, wurde mir dann klar, was es damit auf sich hat. Es sei an der Rechtstradition festzuhalten, dass Bayern das sicherste Bundesland ist und bleiben wird! Für mich eine typische sicherheitsfanatische Parole der CSU mit fadenscheiniger „Argumentation“, um die Wähler bei einem so kritischen Thema nicht zu vergraulen.

Dr. Fischer von der FDP wiederholte im Grunde das Ganze nochmal ohne viel Mehrwert. Besonders geärgert hat mich dabei aber der Punkt, wie er die festgesetzte Zimmergröße von 15 m² für ausreichend erklärt. Bewohner in Altenheimen und Studenten hätten ja in der Regel noch viel weniger Wohnraum in Bayern zur Verfügung. Ich durfte nun 6 Jahre lang Studiengebühren zahlen ohne Bafög-Anspruch und hätte mir nicht mal die letzte Bruchbude in München leisten können und dann wird dieser Vergleich ausgerechnet bei der Sicherungsverwahrung herangezogen?

Und was die Altenheime betrifft: Eine Partei, die sich christlich nennt, kennt also nicht die Aussage des Papstes, dass sich die Qualität einer Gesellschaft am Umgang mit den Alten bemisst? Für mich ist das nichts weiter als eine Aufzählung von Themen, für die man kein Geld ausgeben möchte. Hauptsache am Nachmittag wird noch die Änderung des Abgeordnetengesetzes debattiert, damit man wegen der eigenen Gehaltsaffären kein schlechtes Gewissen mehr zu haben braucht.

In den Redebeiträgen der Opposition wird zwar klar, dass man sehr unzufrieden mit dem Gesetzentwurf ist, weil die Sicherungsverwahrung die Ultima Ratio darstellen muss, die nur unter sehr engen Voraussetzungen angeordnet werden darf. Aber von Kampfgeist ist nicht viel zu spüren, wenn im Nebensatz eine Einhaltung der verfassungsmäßigen Mindestanforderungen akzeptiert wird. Nur Christine Stahl von den Grünen traut sich, die Verfassungsmäßigkeit anzuzweifeln.

Leider haben Bevormundung und Sicherheitswahn der Staatsregierung wiedermal gesiegt, ohne zu überzeugen. Beim Thema Internetzugang wird schnell abgewiegelt, indem man es für die Sicherungsanstalten als zu gefährlich abtut. Die wegen des Falls Mollath viel kritisierte Justizministerin Merk redet da schon eher Klartext. Man könne ja nicht zulassen, dass ein Ausbruch per E-Mail geplant wird. Außerdem sei der Internetzugang nicht per se ausgeschlossen. Er sei „nur“ an Genehmigung, Überwachung und Begrenzungen geknüpft, wie jede andere Form der Kommunikation mit der Außenwelt auch…

Noch deutlicher kann es für mich hier nicht werden: Der Landtag braucht Piraten, die im Zweifel immer für die Freiheitsrechte kämpfen!

Foto: llie_CaulfieldCC-BY

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Anna Lang geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

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