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Das neue Bundestagswahlrecht: Ein verpatztes Gesetz und eine verpasste Chance

Foto eines Wahlzettels (Andre Walter - CC-BY-SA)
Foto eines Wahlzettels (Andre Walter - CC-BY-SA)

Das Wahlrecht gehört in einer Demokratie zu den elementarsten Bürgerrechten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahre 2008 das Bundestagswahlrecht aufgrund des extrem verzerrenden Effekts, der als »negatives Stimmgewicht« bekannt wurde, kassierte. Deutlich verwunderlicher ist, dass der Gesetzgeber die vom BVerfG großzügig bemessene Frist von drei Jahren erst einmal ignorierte, bis die schwarz-gelbe Koalition ein knappes halbes Jahr zu spät einen vollkommen unzureichenden Gesetzentwurf durchdrückte. Dieser wurde vom BVerfG prompt wieder kassiert.

Über ein weiteres halbes Jahr später hängen wir nun immer noch in einem wahlrechtslosen Schwebezustand. Diesen wollen die Fraktionen von Union, SPD, Grünen und FDP nun mit einem Gesetzentwurf beenden, der einen kompletten Ausgleich aller Überhangmandate vorsieht. Positiv ist dabei anzumerken, dass es sich nicht mehr um einen Alleingang der Regierungskoalition handelt und dass es die Vorgaben des BVerfG endlich ordentlich umsetzt. Nicht so schön ist, dass wir damit ein Wahlrecht bekommen, das den Bundestag problemlos um bis zu einem Drittel aufbläht kann.

Ein zu großer Bundestag kostet zum einen eine Stange Geld, man darf wohl vorsichtig geschätzt mit einem höheren zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr rechnen. Das fällt zwar angesichts der riesigen Summen, die im Bundeshaushalt sonst ausgegeben werden, nicht wirklich ins Gewicht, aber es hat schon ein bisschen was von einem Selbstbedienungsladen für Parteien. Zum anderen kommt ein zu großer Bundestag irgendwann an die Grenze der Arbeitsfähigkeit.

Eigentlich wäre das Urteil des BVerfG aus dem Jahr 2008 eine Chance gewesen, das Wahlrecht grundsätzlich zu modernisieren. Es gibt so viele gute Ideen, die in den letzten Jahren aufgekommen sind, die man alle hätte umsetzen können. So hätte zum Beispiel eine Alternativstimme eingeführt werden können, die vielleicht beste Lösung für die Diskussion um die Sperrklausel (»Fünf-Prozent-Hürde«). Jeder Wähler könnte für den Fall, dass seine präferierte Partei an der Sperrklausel scheitert, eine Alternative angeben, auf die seine Stimme dann stattdessen entfallen soll. Dies wäre unkompliziert einzubauen[1]. Auch gibt es verschiedene Möglichkeiten von freien Listen, bei denen der Wähler Einfluss auf die Listenreihenfolge der Parteien nehmen kann. Damit hätte man das Wahlrecht deutlich demokratischer gestalten können. Diese Ideen waren unter anderem bereits seit Beginn der Debatte im Lösungsvorschlag von Mehr Demokatie e.V. enthalten.

Der Bundestag verweigerte sich aber einer grundlegenden Reform. Die Überhangmandate in Angriff zu nehmen, kam überhaupt nicht in Frage. Könnte es daran liegen, dass die »Volksparteien« massiv davon profitieren? Besonders die CSU kann angesichts sinkender Zustimmungswerte ihre bundesweite Bedeutung nur noch auf die Überhangmandate stützen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Auch die anderen Vorschläge würden Macht von den großen Parteien nehmen. Aber wo kämen wir auch hin, wenn wir kleinen Parteien eine faire Chance geben würden oder die Wähler die fein säuberlich ausgehandelten Listen durcheinander würfeln lassen?

Nicht nur der Gesetzentwurf, sondern die ganze parlamentarische Debatte bis zu diesem Punkt zeigt, dass es den alten Parteien beim Wahlrecht nicht mehr um Demokratie und faire Wahlen geht, sondern vor allem um eins: Machterhalt. So kann ich mich der Tatsache, dass wir nun vielleicht endlich ein verfassungskonformes Wahlrecht bekommen, irgendwie nicht so richtig erfreuen.


[1]Im Vereinigten Königreich gibt es eine Volksabstimmung über ein Alternativstimmenverfahren, wobei das Parlamentswahlrecht dort eine einfache Mehrheitswahl ist und deshalb etwas anders ausfällt. Dazu gibt es zwei schöne Erklärvideos auf Youtube (beide englisch).

Symbolbild: Andre WalterCC-BY-SA

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Andi Popp geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

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