Wir erinnern uns alle an die Szenen: Demonstranten, die gegen Stuttgart 21 demonstriert haben oder gegen Castortransporte, denen die Polizei mit übertriebener Gewalt entgegen trat. Ihre Aufgabe war es eigentlich, für Ordnung zu sorgen. Stattdessen bleibt in meinem Gedächtnis wohl für immer das Bild einer alten (unbewaffneten) Frau, die vor mehreren Polizisten floh, die ihr wenig später den Schlagstock von hinten in die Beine schlugen.
Andernorts wurden Flüchtlinge, die nur für ihre Menschenrechte eintraten, wochenlang bei eisigen Temperaturen schikaniert, ihre Gesundheit wurde aufs Spiel gesetzt. Es ist freiwilligen Helfern zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passierte.
Und nun das.
Kurze Zusammenfassung: eine 23jährige Frau rief die Polizei wegen eines Streits mit ihrem Freund. Beide wurden mitgenommen, später kam es zu einem Gerangel. Offenbar rastete die Frau aus und musste gefesselt werden. Soweit nichts Ungewöhnliches. In der Polizeiinspektion schien dann die Frau auch weiterhin wenig kooperativ, man vermutet Drogeneinfluss.
Aber – und dabei ist es fast egal, welche Version der Geschehnisse man hört – statt zu deeskalieren, schlug ein Beamter der Frau mit der Faust ins Gesicht. Gemessen an dem Bild (siehe Bild im Artikel der SZ), das die Frau später im Krankenhaus von sich machte, war das sicher nicht nur ein einziger Schlag, der an sich schon weit übertrieben war. Die Frau wurde regelrecht verprügelt. Die Polizei spricht allerdings von Notwehr (wir erinnern uns an den ersten Absatz, auch bei den Demos sprachen Polizisten von Notwehr).
Es sei einmal dahin gestellt, ob das Opfer einen Beamten angespuckt und beleidigt hat – wie von der Polizei behauptet. Ebenso soll der behauptete Drogeneinfluss hier beiseite gelassen werden. Das muss die Polizei natürlich entsprechend der aktuellen Gesetzeslage behandeln. Aber nicht einmal die Rangeleien geben einem Polizisten das Recht, in diesem Ausmaß zu handeln. Das ist schon lange keine Notwehr mehr, das ist übertriebene Gewaltanwendung respektive gefährliche Körperverletzung. Dafür würde jeder normale Mensch bestraft werden.
Wäre das nun ein Einzelfall, könnte man sagen, dass der Beamte einen Fehler gemacht hat, der sicher bestraft wird, und damit wäre der Fall erledigt. Allerdings gibt einem die Tatsache, dass Vorfälle wie dieser immer wieder passieren, durchaus zu denken. Es kommt einem schnell der Gedanke an die Ausbildung von Polizisten. Entweder steht friedliche Deeskalation nicht auf dem Lehrplan oder dieses Thema wird von vielen als “optional” wahrgenommen. Fakt ist, dass in dieser Hinsicht etwas passieren muss. Die Ausbildung muss verbessert werden, und es darf auch nicht sein, dass bei Polizeibeamten mit anderem Maß gemessen wird als bei normalen Bürgern, wenn eine Straftat begangen wird.
Man könnte sogar vermuten, dass das die Sicherheit ist, die von den Innenministern gefordert wird, aber das wäre schon fast zu weit gegriffen.
Sehr interessant wäre natürlich auch zu erfahren, wieso sich der Vorfall bereits im Januar ereignet hat, aber die Medien erst heute berichten konnten…
Symbolbild: AG Freiburg – CC-BY-NC-SA
Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Bernhard Hanakam geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.
Langsam kriege ich Angst, wenn ich mir vorstelle, in eine Routinekontrolle der Polizei zu geraten. Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass die überwiegende Mehrheit der Polizisten ihren häufig aufreibenden Job, der auch nicht gerade überbezahlt ist, ordentlich erledigen, aber man sieht den Beamten ja nicht an, an wen man gerät. Nur eins scheint sicher: Wenn etwas derartiges wie oben oder in Rosenheim passiert, hat man zumindest in Bayern vor Gericht denkbar schlechte Karten. Und das ist der eigentliche Skandal.
Bin mal gespannt, wie in diesem Fall geurteilt wird.
Wir brauchen eine unabhängige Dienstaufsichtsbehörde, wie in den USA.
Das die Prügler sich immer gegenseitig decken oder bei einer entscheiden Szene plötzlich die Kamera nicht mehr filmt, ist das letzte!
Tatsächlich beschäftige ich mich beruflich seit 20J mit dem Thema Notwehr. Noch nie habe ich derart unglaubliche Version vernommen.
Die Frau befand sich nach Polizeiangaben weder in Gewahrsam, noch wurde sie festgenommen. Nur in diesen Fällen dürfen die handelnden Beamten Gewalt anwenden um ihrem Dienstauftrag gerecht zu werden. Geregelt ist das im Polizeiaufgabengesetz (PAG) und der Strafprozessordnung (StPO)). Hatte man demnach keinen Haftauftrag, durfte die Frau auch nicht gegen ihren Willen mitgenommen werden. Dieses unfreiwillige Mitnehmen greift relativ massiv in ein Rechtsgut der Frau ein. Vielmehr besteht für die Beamten die Pflicht zur Deeskalation. Die Frau durfte sich zu jedem Zeitpunkt gegen die unfreiwillige Mitnahme wehren. Das nennt man dann Notwehr nach § 32 StGB, § 227 BGB.
Gegen Notwehr kann übrigens keine Notwehr mehr geltend gemacht werden, das das Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen Handlung fehlt. Schon deshalb war ich über das reflexartige Notwehrgeschrei des Pressesprechers und den politisch Verantwortlichen erstaunt.
Notwehr zählt zu den Jedermannrechten. In nahezu jedem Land gibt es das gesetzlich verbriefte Recht, sich wehren zu dürfen. Hier handelt es sich um eine Art Freibrief trotz zunächst strafbewährter Tat. Deshalb ist hier ein strenger Maßstab anzusetzen. Es gibt einen Unterschied zwischen Wehren und strafen.