Langsam wird es absurd, was sich hier abspielt. Man mag ja zu Ehegattensplitting bzw. dem Steuersparmodell „Ehe“ stehen wie man will, solange es jedoch für die eine Seite gilt, dann hat es für alle zu gelten. Schon unser Grundgesetz sagt „Ganz oder gar nicht“, entweder gelten Gesetze für jeden oder überhaupt nicht. Eine Tatsache, die die Union aber komplett aus den Augen verloren hat.
Aus der Distanz – mit dem scharfen Auge eines Menschen, der „da erst rein will“ – also jemanden, der endlich wirklich etwas für die Gleichstellung bewegen möchte, wirkt das Ganze langsam nur noch wie ein überaus gestelltes Schmierentheater. Dessen neuer dramatischer Höhepunkt wurde mit folgender Meldung des Spiegels erreicht:
In der Diskussion über das Jahressteuergesetz gab es überraschend eine Mehrheit für die Forderung nach einer steuerlichen Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften. Mit dem Gesetz muss sich nun am Freitag der Bundestag befassen. Oppermann zeigte sich optimistisch, dass sich auch dort eine Mehrheit für die Gleichstellung der Homo-Paare finden werde.
Egal, ob man sich die CSU oder deren Schwester CDU betrachtet: mittlerweile fragt man sich, ist das alles von langer Hand geplante Strategie oder einfach nur Hinhalte-Taktik, die von Moment zu Moment neu ausgespielt wird? So oder so, das Ziel scheint klar: Einerseits möchte man progressive Wähler mit der Aussage fangen, dass man sich letztendlich der Vernunft gebeugt habe, aber konservative Wähler nicht vergraulen mit dem Hinweis, man habe sich doch so lange wie möglich gewehrt.
Betrachtet man das Bild, das die CDU und CSU im vergangenen halben Jahr abgegeben hat, so wird klar, warum man zu dem oben genannten Schluss kommen muss.
So beglückte uns Frau Hasselfeldt, Vorsitzende der Landesgruppe der CSU im Bundestag, mit der Aussage:
„Die Ehe zwischen Mann und Frau steht unter besonderem Schutz, weil sie grundsätzlich auf die Weitergabe von Leben ausgerichtet ist – in homosexuellen Beziehungen ist dies nicht der Fall“
Oder Herr Geis mit der Meinung, der erst unser Grundgesetz wiedergibt – der Staat ist verpflichtet, Ehe und Familie in besonderer Weise zu schützen und zu fördern – nur um dann hinterher zu schieben, dass die Ausweitung des Ehegattensplittings im Steuerrecht die besondere Stellung von Ehe und Familie in der Gesellschaft weiter untergraben würde.
Wie vorwärtsgerichtet und zukunftsorientiert speziell die CSU ist, wird jedoch besonders deutlich, wenn man sich die Aussage von Herrn Goppel, ehemaliger Wirtschaftsminister in Bayern, zu Gemüte führt:
„Gleichwertigkeit von Lebensgemeinschaften“ habe „ihre ganz natürlichen Grenzen“, argumentiert Goppel. „Wer im Unterricht durchgängig die Ohren offen hatte, weiß, dass es Qualitätsunterschiede gibt, die sich schon in der Bestandssicherung zeigen.“
Im weiteren Verlauf der Diskussion beteuert der 65-jährige CSU-Mann zwar, dass er „niemanden ob seiner anders gelebten Sexualität in Frage stelle oder gar diskreditiere“. Zugleich spricht er mit Blick auf die Homo-Ehe von „regelfremden Lebensweisen“.
Plötzlich jedoch wagt sich Herr Spahn von der CDU aus der Deckung, thematisiert seine eigene, lange als Tabuthema behandelte Homosexualität, und bemerkt:
„Das Positive ist doch: Es gibt keine Partei, die sich in dieser Frage stärker bewegt hat als die Union.“
Wie er allerdings zu diesem Schluss kommt, erschließt sich einer Person mit gesundem Menschenverstand nicht wirklich, besonders wenn man die Aussage seines „Chefs“ Volker Kauder zum Bundesparteitag der CDU dagegen hält:
Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) geht von einem Nein des Parteitags aus. Der Spruch aus Karlsruhe müsse abgewartet werden, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Zudem sei für ihn „persönlich klar“, dass er einem „vollen Adoptionsrecht niemals zustimmen würde“, erklärte Kauder weiter.
Es ist klar, warum viele LGBT, um einmal den Schuh des Manitu zu zitieren, „mit der Gesamtsituation unzufrieden“ sind. Wenn man sich die Performance des letzten halben Jahres anschaut, wird klar, warum man der CDU und CSU keinen wirklichen Wandel in der Gleichstellungspolitik abnehmen kann. Es wird auf Zeit gespielt, es wird taktiert, um sich hinterher einerseits als Erneuerer und gleichzeitig als einsichtiges Opfer inszenieren zu können.
Die Frage bleibt, wie solche Parteien sich noch „ohne rot zu werden“ als zukunftsorientiert bezeichnen können. Wirklich zukunftsorientierte Parteien, wie es die Piraten sind, sind längst den Schritt ins 21. Jahrhundert gegangen und erkennen Partnerschaften jeder Ausprägung an, denn nicht das Geschlecht definiert eine Ehe oder eine Familie, sondern Liebe. Das steht klar im Grundsatzprogramm:
Freie Selbstbestimmung und Familienförderung
Die Piratenpartei setzt sich für die gleichwertige Anerkennung von Lebensmodellen ein, in denen Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Unabhängig vom gewählten Lebensmodell genießen Lebensgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen oder schwache Menschen versorgt werden, einen besonderen Schutz. Unsere Familienpolitik ist dadurch bestimmt, dass solche Lebensgemeinschaften als gleichwertig und als vor dem Gesetz gleich angesehen werden müssen.
Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Bernd Kasperidus geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.
PS: Wie üblich überholen einen die Ereignisse immer wieder. Die Sitzung im Bundestag zum Jahressteuergesetz konnte nicht abgehalten werden, da die CDU die Fristen verschleppt hat. Laut Insider ein recht ungewöhnlicher Fall, da der Automatismus im BT-Alltag so etwas fast unmöglich macht. Spiegel und Focus vermuten (unter Berufung auf „gutinformierte Kreise“) das A. Merkel eine Abstimmungsniederlage (in ihrem Sinne) vermeiden will und deswegen bis Januar alle Abweichler, also MdB die dem Jahressteuergesetz zustimmen würden, wieder auf Linie bringen will.