Kommentar

Siko, Wikileaks und Verantwortung

Wie jedes Jahr findet im Februar in München die Sicherheitskonferenz statt. Ein "Forum zur intensiven Diskussion der aktuellen und zukünftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen" der "Entscheidungsträger der internationalen Sicherheitspolitik".

Es ist begrüßenswert, dass die Entscheidungsträger, welche die Sicherheit der Welt in ihren Händen tragen, einmal im Jahr zusammenkommen, um sich über Ihre wichtige Aufgabe auszutauschen. Denn dieser gesellschaftlichen Herausforderung bedarf es mehr als nur eines ḱlugen Kopfes. Die Sicherheitskonferenz vereinigt damit die Verantwortung all ihrer Teilnehmer.

Die Verantwortung gegenüber der freien Gesellschaft und der gesamten Menschheit aber ist schwer. So lässt das sogenannte Monthly Mind" Dezember 2010 des Spiritus Rector dieser Verantwortung, Wolfgang Ischinger, die Vermutung zu, dass die Sicherheitskonferenz sich dieser Verantwortung entzieht.

In dem Artikel "Das WikiLeaks-Paradox" bemängelt er, dass "Die wichtigste Währung der Diplomatie, das Vertrauen, hat mit der Veröffentlichung der amerikanischen Depeschen einen massiven Wertverlust erlitten." hätte. Das ist eine oberflächliche und hochnäsige Einschätzung.

Das Vertrauen in die "Entscheidungsträger der internationalen Sicherheitspolitik" hat vor mehr als ­acht Monaten mit dem Video «Collateral Murder», dass ­US-­Soldaten zeigt, die von einem Helikopter aus ­Zivilisten regelrecht hinrichten, nicht nur einen Werteverlust erlitten, es ist fast bankrott. Und eine interne Unter­suchung des ­Pentagons, das in München Verantwortung trägt, hat diese Soldaten ­entlastet. Danach ver­schwand das Thema sang- und klanglos aus den Schlagzeilen.

Dass Ischinger sich darüber echauffiert, dass Diplomatie nun sich auch verändern müsse, weil mit Wikileaks raus kommt, welcher Politiker welchem Politiker die Zunge raus gestreckt hat, ist herzlich egal. Die Frage ist, ob sich die Siko der Verantwortung der «Collateral Murder» stellt oder ob der Münchner Kongress einfach weiter tanzt. Zu sehr drängt sich nun die Frage auf, ob die jahrelangen Kritiker draußen vor dem Bayerischen Hof recht haben mit der Behauptung das die Siko ein willfähriger Treffpunkt des Eisenhowerschen militärisch-industriellen Komplexes ist.

Wäre hier nicht Transparenz gefordert, um das zu widerlegen? Wäre es aufgrund der Verdachtsmomente durch «Collateral Murder» und eines beleidigten Diplomaten wie Ischinger angebracht nach zu forschen? Wäre hier nicht eine demokratische Transparenz gefordert, die noch viel weiter gehen muss als sie Wikileaks sie leisten kann?

Ischinger proklamiert sogar, dass eine "Gesellschaft ohne Geheimnisse, einer totalitären Vision, auch kein Vertrauen mehr [bräuchte]". Die Privatsphäre der Menschen ist bedrohter denn je, aber durch die Sicherheitsgesetze der Hexen- und Terrorjagd. Der Gegenstand der internationale Diplomatie hat durch Leaks wie «Collateral Murder» jeglichen Anspruch auf Geheimheit verloren. Es ist egal, ob und wie die Entscheidungsträger auf den Bällen der Botschaften parlieren und verhandeln, wenn es zum Preis des Vertuschens von Unmenschlichkeit geht.

Eine moderne und gesellschaftsoffene Diplomatie kann diesen Rest aus Geheimrats Zeiten gern ersetzen. Das diplomatisch, getürkte und gepuderte fröhliche Verhältnis zwischen Staatsmann und Staatsmann allerdings ist es nicht Wert, dass es für die Menschlichkeit geopfert wird.

Bis die Unschuld der Sichherheitskonferenz transparent bewiesen ist, muss der Anschuldigung der Straße, dass es eine Kriegsskonferenz sei, vollumfänglich geglaubt werden.

Die Opfer der «Collateral Murder», alle Opfer im Irak, alle Opfer von Kriegseinsätzen verlangen nach Transparenz, denn anders ist Freiheit und Gerechtigkeit anscheinend nicht zu erreichen.

3 Kommentare zu “Siko, Wikileaks und Verantwortung

  1. Stephan Eisvogel

    So wie Banker unter sich bleiben, bleiben Politiker und Leute im Schlapphut-Dunstkreis auch gern unter sich. Höchst intransparent und als Parallelgesellschaft. Tauchen in den Nachrichten Schnipsel von Skandalen auf, nimmt, wie du schon richtig bemerkst, Klaus, kaum jemand und wenn dann nur für sehr kurze Zeit davon Notiz.

    Verständlich. Die einen schütteln selbst bei grotesker Steuergeldverschleuderung nur mehr resigniert den Kopf, das ist die steigende Zahl der Nichtwähler. Der andere Teil erzürnt sich höchstens für die Dauer einer Tagesschau Sendung und schon während der ersten Jungelprüfung wurde ihm schon wieder alles bis auf den Wetterbericht aus dem Hirn gewaschen. Und seien wir doch mal ehrlich: Interessiert ja auch kein Schwein, zumindest solange man mit Familie (Armutsrisiko #1), Haus (Tilgung bis zur Rente), Auto (+Kleinwagen) und ein bis drei Urlauben im Jahr (zwei davon auf Pump) noch gut über die Runden kommt. Ja, im AAA-Land Deutschland, dem bis auf Frankreich letztverbliebenen in dieser Rating-Kategorie, sind die fetten Jahre mental noch fast die alten und real gerade erst am ausklingen, Euro und Export sei Dank.

    Ja, Herrn Ischingers Siko funktioniert, Intransparenz funktioniert. Und wenn wir Glück haben, bekommt er mit Global Zero sogar etwas gerissen; wünschen möchte ich es ihm von ganzem Herzen. Nur hinter seinem schönen, großen Bild an der Wand, da wo es besonders dunkel ist, da sammeln sich die Kakerlaken. Vorgestern war es Strauss mit seinen Rüstungsspezis. Gestern will Kohl seine Spender nicht nennen. Heute ist es Mappus im Zwielicht des EnBW-Deals. Mit Wikileaks ging für einen kurzen Moment das Licht im Raume an. Und da sah man sie, zurückhuschend hinter das Bild an der Wand. Auf den Schattenseiten von Herrn Ischingers Weltbild sammelt sich das Ungeziefer.

    Ich sage: Greifen wir zur Axt, meine piratischen Parteifreunde. Licht an und runter mit dem Bild von der Wand! Auch wenn es im ersten Moment ekelhaft und schaurig wird. Mögen Unternehmen und Personen ihre Geheimnisse verbergen und beschützen, das ist ihr gutes Recht. Aber Geheimnisse im Namen des Volkes vor dem Volk, das ist anachronistisch und beschädigt peu à peu über die Legislaturen das Vertrauen in unser System. Unser aller Vertrauen. In unser System der sozialen Marktwirtschaft – mit Demokratie-Plugin – das im Lichte der Geschichte in meinen Augen ganz gut abschneidet. Nie und nimmer kann Herrn Ischingers errungenes Faustpfand im Schachspiel der Heimlichkeiten diesen Schaden aufwiegen.

  2. Beispielsweise die Lebensmittelindustrie. Da wär’s doch schön, wenn man wüsste, was konkret in den geheimgehaltenen Rezepten drinsteckt und warum.

    Und wenn einer sagt, das geht nicht: die Automobilindustrie fordert und erhält diese Sorte Transparenz von ihren Zulieferern bereits seit Jahren. Notwendigerweise, weil manche Qualitätsprobleme nicht per Inspektion bei der Wareneingangskontrolle geprüft werden können. Das ging bis dahin, dass die Autohersteller Vertreter bis in die Werkshallen geschickt haben und sich haarklein haben erzählen lassen, was da gemacht wird und warum.
    Das war für die Zulieferer eine Zeitlang die Hölle, die Autoindustrie kannte danach die genauen Kostenstrukturen und konnte ihre Zulieferer nach Herzenslust ausquetschen. Allerdings hat die Autoindustrie nach ein, zwei Jahren gelernt, dass dieses Ausquetschen gar nicht lohnt, weil dann die Qualität sinkt, und mittlerweile zahlen auch die Zulieferer wieder Dividenden.

  3. Was geschieht mit den EU-Staaten bei einer Pleite mit dem schon bezahlten Steuer-Geldern?

    Schöne Grüße 🙂 Piraten vor ….

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