Anna ist 10 Jahre alt und kommt in die 4. Klasse – und wie sagen ihre Eltern so schön: „Jetzt geht’s um die Wurscht!“. Der Druck auf Eltern, Kinder und Lehrer wächst: So wird gelernt, gepaukt, geübt und manchmal fließen auch Tränen, wenn eben gar nichts mehr geht. Am Schluss muss der nötige Durchschnitt her, ansonsten landet Anna vielleicht in der falschen „Bildungsschublade“ und nicht auf dem Gymnasium. Muss das so sein?
Nein – klar, die Arbeitswelt erwartet flexible, spezialisierte und gut ausgebildete Menschen. Doch könnte ein modernes Bildungssystem nicht einfach selbst flexibel sein und den Schülern die Möglichkeit bieten, Schwerpunkte gemäß ihren Stärken und Schwächen zu setzen?
Möglich wäre es; jedoch hat sich das Bildungssystem in den letzten Jahren leider in die andere Richtung entwickelt. Das heutige System passt sich nicht dem Schüler an. Im Gegenteil: Der Schüler muss sich seiner „Bildungsschublade“ anpassen, Kopf ‚runter und durch, heißt es dann. Auf Fragen wie: “Warum muss ich das eigentlich lernen, Papa?“, bekommt man dann schnell die Antwort: „Sonst bekommst du keinen Abschluss!“.
Hallo? Dabei geht es doch auch anders. Machen wir das System flexibel und verbiegen wir nicht den Schüler. Führen wir doch wieder die Möglichkeit ein Fächer zu wählen, die den Fähigkeiten des Schülers entsprechen. Das wurde aus der Oberstufe vor 10 Jahren mit dem schnellen G8 einfach wegrationalisiert.
Es gäbe dann Englisch in drei Schwierigkeitsgraden oder wie die Kinder heute gern sagen „Levels“. Ganz kess gehen wir noch einen Schritt weiter: Lasst uns die Kurse auch schon ab der 7. Klasse oder gleich nach der Grundschule verwenden, und wir habe die flexible Schullaufbahn.
Die Vorteile liegen auf der Hand. Endlich kann ein Schüler die einzelnen Fächer mit seinem Lerntempo angehen; er muss nicht alle Kurse auf dem höchsten „Level“ fahren. Da genügt dann hier und da nur die mittlere Schwierigkeitsstufe. Die Ehrenrunde, in der man ja alle Fächer noch einmal durchkaut, auch wenn man nur in einigen schlecht war, fällt weg. In den bestanden Fächern geht es einfach weiter, nur die misslungenen werden wiederholt, wenn nötig mit einem Zusatzkurs. Das kann dann jeder schaffen, nicht nur jene, die teure Nachhilfe genießen.
Bleibt die Frage: „Wann habe ich meinen Abschluss in der Tasche?“
In Deutschland gibt es dafür natürlich landesweite Standards, festgezurrt von der Kultusministerkonferenz. Hat man diese erreicht, gibt es den Abschluss evtl. mit einer Abschlussprüfung.
Im flexiblen Schulsystem geht das genauso. Zum Beispiel erreicht man den Hauptschulabschluss nach dem Bestehen der Kurse in Mathe, Deutsch und Englisch auf Klassenniveau 9. Das kann dann auch mal nur acht Jahre dauern; das hängt vom Lerntempo des Kindes ab und nicht von staatlichen Vorgaben, eben flexibel. In der Erwachsenenbildung lässt sich das System problemlos fortsetzen, ohne Verrenkungen und seltsam komplizierte Sonderkonstrukte. Also alles aus einem Guss!
Dieses Schulsystem verschmilzt die alten Schubladen durch das Kurssystem, Schulen sind flexibler, sie können sich ganz den lokalen Gegebenheiten anpassen: Der Schüler steht wieder im Mittelpunkt der Schule und nicht das System.
Eine solche Veränderung benötigt die Unterstützung aller Beteiligten – Eltern, Lehrer und Schüler. Das System ist kein Allheilmittel. Es stellt den Rahmen, in dem die Schule abläuft. Dieser muss noch mit frei zugänglichen Lehrmitteln, gut ausgebildeten Lehrern und einer modernen Ausstattung an den Schulen gefüllt werden.
Ein Punkt sollte noch klar gestellt werden: Es wird nicht das Durchfallen abgeschafft. Die Schüler sollen auf das Leben vorbereitet werden und in diesem gibt es leider ebenfalls Rückschläge und Misserfolge; die wird es auch in der Schule geben. Doch wirken sich Misserfolge nicht so drastisch aus, denn sie betreffen dann lediglich das entsprechende Fach.
Deshalb: Her mit der flexiblen Schullaufbahn, anstatt am alten starren System für Schubladen-Schüler herumzudoktern.
Dieser Beitrag wurde von Hilmar Vogel für den Kaperbrief Bayern verfasst. Symbolbild von 4freephotos unter der CC-BY
Habt Ihr Euch schon mal mit dem Konzept von Sudbury Schulen beschäftigt – oder allgemeiner mit „demokratischen Schulen“? Die haben vergleichbare Ansätze – gehen aber noch einige Schritte weiter.
Sudbury Valley gibt es seit 1968, und in der Zeit hat sich das System außerordentlich gut bewährt. Inzwischen gibt es weltweit 48 Schulen nach dem Sudbury Modell (Quelle: Wikipedia) und eine sehr lange Liste von demokratischen Schulen 😉 … diese sind oft nach dem Summerhill Modell gestaltet.
Interessant sind diese Schulen meiner Ansicht nach für das Schulkonzept der Piraten vor allem auch deswegen, weil dort Demokratie und Rechts“staat“lichkeit von Anfang gelebt wird. Somit lernen die Kinder und Jugendlichen nicht nur das, was sie wirklich interessiert (und das richtig), sondern „nebenbei“ auch in praktische Erfahrung alles Wesentliche über Demokratie und Gerechtigkeit.
Ein möglicher Einstieg: Sudbury Valley School – The cutting edge school for independent children. In München gibt’s einen Verein der schon eine Weile daran ist, eine Schule nach dem Sudbury Modell in München zu gründen: Sudbury Schule München e.V..
Ahoi Hillmar.
Du hast es schön und deutlich dargestellt. Die Piraten wollen kein anderes System, sondern Kinder und Jugendliche sollen in den Mittelpunkt. Wenn das Ziel erreicht ist, dann gibt es Abschlüsse. Und um Dich zu zitieren: Für die Piraten sind Schüler keine Versuchskaninchen bildunspolitischer oder andere Spielereien.
Ansgar
Ich komme aus Niedersachsen und zu meiner Zeit gab es dort eine Orientierungsstufe, d.h. nach der Grundschule wurde nicht entschieden, wohin die Reise gehen soll, sondern erst nach der 6. Klasse. Mit dieser Lösung waren alle glücklich und auf uns Kinder wurde kein Druck ausgeübt.
Das mit den Levels ist eine gute Idee, aber schwierig zu realisieren, da dafür mehr Personal gebraucht wird. Ob dafür staatliche Gelder vorhanden sind, ist die Frage.