Die „Internetforschung“ ist sicher eines der jüngsten Forschungsgebiete in der Wissenschaft. Und kaum ein Forschungsgebiet wird in Deutschland – und damit auch in Bayern – so stiefmütterlich behandelt.
Das hat auch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie erkannt und schreibt im Strategiepapier zur digitalen Zukunft Bayerns auf Seite 50 („Leuchtturm 9: Kompetenzzentrum Internet“):
Weder in Bayern noch in Deutschland gibt es derzeit eine etablierte Institution, die sich umfassend in ganzer inhaltlicher Breite von der Technik über die wirtschaftlichen Potentiale bis zur Gesellschaft mit der Thematik Internet auseinandersetzt.
Tatsächlich gibt es an bayerischen Hochschulen nur wenige interdisziplinäre Forschergruppen, die sich mit den Auswirkungen von Internettechnologien auf das (Kommunikations-)Verhalten der Menschen beschäftigt. Zwei dieser Gruppen sind in München beheimatet: einerseits die Forschungsgruppe Kooperationssysteme (CSCM) an der Universität der Bundeswehr und andererseits das Zentrum für Internetforschung und Medienintegration (ZMI) an der Ludwig-Maximilians-Universität.
Am ZMI wurden mehrere Projekte durchgeführt, die sich vor allem mit den Auswirkung der Digitalisierung auf die Medienbranche beschäftigten. Aktuell läuft dort noch ein Projekt zum Aufbau eines Internet Business Center, das den Wissenstransfer von der LMU in die beteiligten Unternehmen (Burda GmbH, Tomorrow Focus AG, ProSieben Sat.1 GmbH) sicherstellen soll.
Am CSCM liegen die Schwerpunkte etwas anders. Die Forschungsprojekte hier drehen sich insbesondere um die Frage, wie technische Systeme gestaltet sein müssen, sodass die Arbeit im Team erfolgreicher wird. Social-Media-Software, Groupware und andere Software zum kollaborativen Arbeiten sind dort folgerichtig die Forschungsgegenstände. Beiden Forschungsgruppen geht es primär um Auswirkungen und Potential des Internet im wirtschaftlichen Umfeld.
Zum Thema Internetforschung ist das in der Tat recht wenig. Eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung an einer bayerischen Universität ist also mehr als wünschenswert. Auch die Staatsregierung hat das erkannt, auch wenn für sie der Geschäftsverkehr offensichtlich eine herausragende Rolle spielt.
„Verlagerung von Kommunikation und Teilen des Geschäftsverkehrs stellen die Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Die damit verbundenen Herausforderungen sind interdisziplinärer Natur.“
Der Plan des Ministeriums sieht daher ein „Kompetenzzentrum Internet“ vor, das „vorrangig an den Interessen der Wirtschaft […] und an den Potenzialen der bayerischen Forschung“ ausgerichtet sein soll. Das bedeutet letztlich vor allem: Die bayerische Internetforschung ist auch weiterhin primär auf rein wirtschaftliche Interessen begrenzt. Daran wird sich wohl so schnell nichts ändern.
Die Auswirkungen des Internets auf die sozialen und politischen Strukturen sind bei der Forschungsförderung offensichtlich nicht relevant. Aber vielleicht kommt ja auch in Bayern irgendwann mal Google vorbei und finanziert ein entsprechendes Institut. Und vielleicht sind dann auch Themen wie Online-Partizipation in politischen Prozessen oder internet-basierte Innovationen in Bayern relevante Forschungsthemen.
Horizonterweiterung hat schließlich noch nie geschadet.
Hinweis: Dieser Kommentar wurde von Christina Grandrath geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.
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