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PRECOBS – die Büchse der Pandora

Foto: Nicole Britz, CC-BY-SA

„Herrmann verstärkt Kampf gegen Wohnungseinbrüche“, lautet die plakative Überschrift einer Pressemitteilung vom 6. August 2014 aus dem Bayerischen Innenministerium. Es gilt einen Ruf zu verteidigen, gibt es doch in Bayern im Vergleich zur übrigen Bundesrepublik am wenigsten Einbrüche. Damit das angesichts steigender Deliktzahlen so bleibt, braucht die bayerische Polizei neues Spielzeug.

Ab Oktober startet mit precobs eine Pilotstudie in München und Nürnberg zur Einbruchsvorhersage. Der Hersteller, das Institut für musterbasierte Prognosetechnik GbR, beschreibt sein Produkt mit den Worten:

precobs generiert unter Verwendung aktuellster Deliktdaten Prognosen, die von Polizeibehörden für operative und präventive Zwecke verwendet werden können. […] Die Prognosen können einfach in den täglichen Informationsfluss eingebunden werden. Künftige Kriminalitätsbekämpfung wird immer stärker von automatischen Analysesystemen unterstützt werden. […] Die Polizeiarbeit der Zukunft hat begonnen.

Wer sich hier an den Spielfilm „Minority Report“ erinnert fühlt, liegt absolut richtig. Durch die Benennung „precobs“, an Philip K. Dicks Wortschöpfungen „Precrime“ und „Precogs“ angelehnt, werden wohl ganz bewusst Assoziationen zur Kurzgeschichte und zum gleichnamigen Film hergestellt, inklusive der damit verbundenen Überwachungsgelüste.

Sieht man sich in diesem Zusammenhang ein Zitat aus einem Fachvortrag des Landeskriminaldirektors in Nordrhein-Westfalen, Dieter Schürmann, über Predictive Policing an, läuft es einem eiskalt den Rücken herunter:

Stellen wir in einem Ort das gleichzeitige Aufkommen ausländischer Transportfahrzeuge und die Verwendung ebenso ausländischer Telefonkarten fest, und das in regionalen Bereichen, die sich für mobile Einbruchstäter aufgrund ihrer Lage, etwa in Grenznähe oder Nähe der Autobahn, besonders eignen, sollte man aufmerksam werden.

Big Data als Vorhersagesystem

Precobs als Analysewerkzeug steht für den Einstieg des Staates in Big Data gestützte Vorhersagesysteme zur Verbrechensbekämpfung. Durch die Verarbeitung großer Mengen an Daten aus verschiedensten Quellen sollen diese Systeme, basierend auf Algorithmen und Risikoanalysen, menschliches Verhalten vorhersagen. Diese Vorhersagen treffen, für manchen überraschend, in der Tat häufig zu – entscheidend sind hier jedoch weniger die Algorithmen, sondern die Anzahl der zur Verfügung stehenden Daten. Je mehr Daten ausgewertet werden können, desto exakter erscheinen die Ergebnisse.

Letztlich läuft es darauf hinaus, Verbrechen vor der Tat zu verhindern: Mit Vorhersagesystemen wie precobs könnte die Polizei Mord, Raub und Einbruchdelikte, ähnlich wie in „Minority Report“, im Vorfeld erkennen, aufklären und idealerweise verhindern. So verlockend das auch klingt, ist es überhaupt wünschenswert?

Wenn zukünftige Straftäter im Vorfeld der Tat bereits mit Big Data gestützten Vorhersagesystemen ermittelt und an der Tat gehindert werden würden, läuft das in letzter Konsequenz auf drastische Änderungen in einer freien Gesellschaft hinaus.

Vorhersagesysteme führen zur Strafe ohne Tat

Wenn Vorhersagesysteme in der Verbrechensverhinderung eingesetzt werden und somit tatsächliche Taten verhindert werden, bedeutet das aber auch, dass Täter bestraft werden müssten, ohne die konkrete Tat begangen zu haben. In der Kurzgeschichte „Minority Report“ bringt der Precrime-Leiter Anderton eine solche Situation folgendermaßen auf den Punkt: „In unserer Gesellschaft gibt es keine Schwerverbrechen, dafür haben wir ein Straflager voller Pseudoverbrecher.“[1]

Dies würde dazu führen, dass potentiellen Tätern der freie Wille abgesprochen würde, eine Tat eben nicht zu begehen. Das wiederum würde unsere freie Gesellschaft und unseren Rechtsstaat komplett auf den Kopf stellen: Ohne freien Willen ist man nicht mehr verantwortlich für die eigene Tat. Wo aber keine Verantwortung für die eigene Tat besteht, kann auch keine Sühne durch Strafe erfolgen. Schlimmer noch: Eine Vergeltung für die verhinderte Tat wird als wesentliches Element der Strafe eingeführt, denn wo keine Opfer, da kein Ausgleich, wo keine Verantwortung da keine Sühne und kein Schuldausgleich.

Prävention ist besser als Strafe

Wenn Big Data aus den oben erwähnten Implikationen zur Verbrechensverhinderung nicht dienen kann, könnte man sie immer noch zur Verbrechensprävention einsetzen. Prävention in dem Sinn, dass man beispielsweise Polizeistreifen häufiger durch gefährdete Gebiete fahren lässt oder gezielt mögliche Täter anspricht. Doch die Grenze zwischen Prävention und Verhinderung ist sehr fließend.

Eine erhöhte Polizeipräsenz kann tatsächlich einen Einfluss auf Einbruchsdelikte haben und im Wortsinn präventiv wirken, zumindest aber bei den Ermittlungen nach der Tat helfen.

Anders sieht es aus, sobald Polizeistreifen einzelne Personen oder gar Häuser stundenlang beobachten, bei entsprechenden Wahrscheinlichkeiten einzelne Personen gegen ihren Willen festsetzen oder sicherheitsverwahren lassen. Hier flössen Prävention und Verhinderung ineinander, denn es stellt sich die Frage, ab wann endet Prävention und ab wann beginnt Strafe?

Kommerzieller Missbrauch von Vorhersagesystemen

Natürlich wird, wer sich nichts zuschulden kommen lassen wird, auch zukünftig nichts zu befürchten haben. Die Standardphrase der Überwachungsapologeten kann auch hier verwendet werden.

Leider wissen wir aus der Vergangenheit und Gegenwart, dass alle möglichen Behörden dazu neigen, einmal erfasste und verarbeitete Daten außerhalb ihres ursprünglichen Erhebungskontexts zu „verwerten“. Das wäre bei einem Big Data basierten Vorhersagesystem zur Verbrechensprävention nicht anders. Und in Zeiten leerer Staatskassen werden auch bei der bayerischen Polizei Aufgaben an kommerzielle Anbieter ausgelagert.

Das Interesse an solchen Vorhersagen ist überhaupt immens: Wie interessant wäre es doch für einen Arbeitnehmer, zu erfahren, welche Wahrscheinlichkeit zu kriminellen Handeln bei seinen Mitarbeitern besteht. Versicherungen würden sehr gerne das Risiko vorhersehen, das ein neuer Kunde mitbringt.

Zum Teil gibt es diese Systeme bereits; die Kreditwirtschaft und die Schufa bedienen sich solcher Vorhersagesysteme und fällen aufgrund vorhandener Daten und Algorithmen teils absurde Entscheidungen. Die Verwendung Big Data gestützter Vorhersagesysteme in der Verbrechensprävention hätte in Verbindung mit einer Kommerzialisierung immensen Einfluss auf jeden von uns.

Fazit

precobs ist kein weiteres Tool zur Überwachung, sondern vielmehr ein Einstieg in Big Data gestützte Vorhersagesysteme des Staates. Diese Systeme haben das Potential, unsere Gesellschaft grundlegend zu wandeln.

Trotz aller Verlockungen, die solche Systeme bieten, sollte dem Einsatz solcher Vorhersagesysteme ein öffentlicher Diskurs vorangehen, der sicherstellt, dass diese Verfahren nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit eingeführt werden, denn wenn die Büchse der Pandora einmal geöffnet ist… Ach, ihr kennt den Schluss.

Quellen:
[1] Zitat aus „Der Minderheiten-Bericht“ (Übersetzung von Thomas Mohr) in Philip K. Dick: Der unmögliche Planet, Heyne, München 2002, herausgegeben von Sascha Mamczak

Symbolbild: Nicole Britz – cc-by-sa

Hinweis: Dieser Kommentar wurde von David Krcek mit Unterstützung von Nadine Englhart geschrieben und stellt nicht notwendigerweise die Meinung des ganzen Landesverbandes dar. Alle Mitglieder können Kommentare über das entsprechende Formular bei der SG Digitale Medien einreichen.

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